Abgründe der Macht - Roman über einen Sachsenkönig
waren, und sie zu bitten, als Fürsprecherin unverzüglich zu seinem Bruder nach Magdeburg zu reisen. Die Mutter solle, verlangte Heinrich, Odda sein Bedauern über das Vorgefallene aussprechen und ihn von seiner Bereitschaft zur Versöhnung in Kenntnis setzen. Die Merseburg, die sein rechtmäßiger Besitz sei, habe er zurückerobert und |232| nicht willens sei er, sie wieder aufzugeben. Falls Odda sich unversöhnlich zeigen sollte, würden er und seine Gefolgschaft einer Belagerung standhalten und die Burg bis zum letzten Blutstropfen verteidigen. Heinrich wünsche aber Frieden und würde sich damit begnügen, anstelle von Gero, der alles falsch gemacht habe und an den Unruhen in den Wendengebieten schuld sei, die Markgrafschaft zu übernehmen.
Die Boten gingen ab und Gero, der kurz danach eintraf, erhielt auf seine Forderung, ihm das Tor zu seiner Burg zu öffnen, von Heinrich selbst die schroffe Antwort, er habe hier nichts mehr zu suchen und solle sich zum Teufel scheren. Gero unterrichtete den König, wartete aber dessen Antwort nicht ab, sondern begann mit der Belagerung. Er kannte die Merseburg und ihre Umgebung so gut, dass er sicher sein konnte, kein Mäuschen würde unbemerkt aus ihr entschlüpfen. Noch weniger würde ein Stück Schlachtvieh oder ein Bauernkarren mit Mehl und Bohnen hinein gelangen. Jetzt, im Frühjahr, waren die Wintervorräte fast aufgebraucht und der Markgraf war sicher, dass der großmäulige Königssohn und seine Getreuen keine sechs Wochen durchhalten würden.
Heinrichs Boten wurden in Quedlinburg mit großer Erleichterung empfangen. Dadi war zwar nicht selbst dorthin gezogen (das hatte ihm Otto ausdrücklich untersagt), doch seine Geschichte von Heinrichs Heldentod in der vom Himmel entschiedenen Schlacht bei Birten fand ohne ihren Erfinder den Weg in den letzten Winkel des Reiches, natürlich auch zu diesem viel besuchten Ort. Frau Mathilde erlitt eine Ohnmacht nach der anderen, musste zur Ader gelassen werden, schwamm in Tränen, wollte sterben, haderte sogar mit Gott, kniete dann aber tagelang und halbe Nächte vor dem Altar der Stiftskirche, um ihren Sohn den ewigen Mächten und allen ihr bekannten Heiligen zu empfehlen. Bischof Bernhard, der zu ihrem Trost herbeieilte, betete mit ihr, musste sich aber auch harte Worte anhören, weil er nach Ansicht der Königinmutter seinerzeit als Gesandter in Lothringen nichts erreicht und damit das fürchterliche Gemetzel von Birten und also auch Heinrichs Tod mit zu verantworten hatte. Niemals zelebrierte Bernhard freudiger eine Dankesmesse, als nach dem Empfang der Nachricht, dass Heinrich lebte.
Mathilde gewann daraufhin sogleich ihre Tatkraft zurück und anstelle von Schmerz und Trauer beherrschten sie nun Zorn, Empörung |233| und der feste Wille, den schwer verwundeten, zu Unrecht verfolgten, verkannten und verleumdeten Sohn zu retten. Unverzüglich ließ sie zur Reise nach Magdeburg rüsten, die sie mit großer Begleitung antrat. Der berittenen Schutztruppe unter dem Befehl des Stiftsvogts folgten mehrere Wagen mit Stiftsdamen und ihren Mägden. Auch die Hevellerin Petrissa, die sich ihrer Frömmigkeit und Ergebenheit wegen des besonderen Wohlwollens ihrer Vorsteherin erfreute, befand sich unter den mitreisenden Damen.
König Otto empfing seine Mutter sofort und gleich kam es in Gegenwart Königin Edgiths und der Stiftsdame Richburg, der Ratgeberin und Vertrauten Mathildes, zu einem heftigen Wortwechsel.
„Kannst du zulassen, Odda“, rief die Königinmutter, „dass dein Bruder wie ein Verbrecher gejagt wird und sich verstecken und verteidigen muss?“
„Dieser Zustand wird ein Ende haben“, erwiderte Otto kalt, „sobald er sich den Belagerern ergibt und sich meinem Gericht stellt.“
„Er hat nichts verbrochen!“
„Du irrst, Mutter. Er wird sich für Friedensstörung, Verrat und Aufruhr verantworten müssen.“
„Es war Giselbert, der sich auflehnte! Heinrich wollte den Mann seiner Schwester – und
deiner
Schwester – nur schützen, deshalb zog er mit ihm in den Kampf. Die Folge seines hochherzigen Einsatzes ist eine schwere Verwundung. Rührt dich das gar nicht?“
„Es tut mir leid. Doch das ändert nichts an seiner Schuld.“
„Er ist unschuldig!“
„Er war der Kopf einer Verschwörung mit dem Ziel, mich zu stürzen … vielleicht zu beseitigen.“
„Niemals hatte er so etwas vor!“
„Und was im Februar in Saalfeld geschah, ist dir nicht bekannt?“
„Was soll dort geschehen sein?“
„Heinrich
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