Abgründe der Macht - Roman über einen Sachsenkönig
bereits.“
„Ich? Das verbreite ich? Wer behauptet das?“
„Deine leichtfertige Zunge.“
Heinrich strich mit einer raschen Geste die Lockenmähne zurück und lachte. Das Lachen klang nach Verlegenheit. Er verstummte auch sogleich, weil ihn ein tadelnder Blick seiner Mutter traf.
Frau Mathilde konnte sich kaum noch zurückhalten. Im Verlauf dieses Abschiedsgesprächs entlud sich der ganze Ärger, der sich in ihr aufgestaut hatte. Ottos unehrerbietiges Verhalten tat sein Übriges. Vor ihren engsten Vertrauten, Richburg und Bischof Bernhard, musste sie sich nicht verstellen. Von ihrer Schwiegertochter hielt sie nicht viel. Die Gefolgsleute und die Knechte, die etwas aufschnappen konnten, zählten nicht. Ihre Söhne – auch wenn einer von ihnen die höchste Würde bekleidete – waren und blieben die Geschöpfe, die sie der Welt geschenkt hatte. In diesem Augenblick |101| war sie noch einmal die Frau des mächtigen Königs Heinrich, die Königin des Ostfränkischen Reiches. Niemand konnte sie hindern, auszusprechen, was sie für richtig hielt.
„Odda“, sagte sie scharf, „ist das die Achtung, die du mir schuldig bist?“
Der König, den fertigen Wurfspeer in der einen, den Hammer in der anderen Hand, erhob sich schwerfällig.
„Du wolltest es doch nicht feierlich, Mutter. Rede nur, mir entgeht nichts.“
„So höre! Dein Bruder kann nur verbreiten, was ich ihm immer wieder gesagt habe. Er ist der Purpurgeborene – du bist es nicht! Als du geboren wurdest, war dein Vater nur Herzog … ja, nicht einmal das, dazu fehlten ihm die paar Tage, die sein eigener Vater noch lebte. Denn erst eine Woche nach deiner Geburt starb dein Großvater, der Herzog. Als Heinrich geboren wurde, war sein Vater König – und wir nannten ihn ebenfalls Heinrich. Warum wohl? Er ähnelte seinem Vater aufs Haar, vom ersten Tag seines Lebens an. Er besitzt alle seine glänzenden Eigenschaften, ist ebenso groß, so stark, so klug …“
„So schön“, warf Otto ein.
„Ja, auch so schön! Von so edler Gestalt! Ein strahlender junger Held – und dafür lieben ihn alle! Die Menschen wollen einen König, den sie lieben, den sie bewundern können, eine Wiedergeburt deines Vaters, sein verjüngtes Abbild. Viele würden, wenn er irgendwohin käme, gar nicht bemerken, dass es nicht mehr derselbe König ist. Sie würden glauben, der König lebte ewig und würde immer wieder jung, weil er das Heil hat und Gottes Segen. Bis zuletzt hab ich dafür gekämpft – ich mache kein Hehl daraus, dass Heinrich der Nachfolger eures Vaters würde. Leider war euer Vater am Ende nicht mehr imstande, irgendetwas zu tun, er war schon zu krank.“
„Und bei Verstand war er auch nicht mehr“, fügte Heinrich mit einem gekünstelten Seufzer hinzu.
Otto warf Hammer und Wurfspeer hin, trat auf den jüngeren Bruder zu und ballte die Faust.
„Was sagst du? Nicht mehr bei Verstand? Du Gimpel ziehst über unseren Vater her, der ein Adler war? Und du sollst ihm ähnlich sein? Ein Held? Eine Wiedergeburt? Nicht die geringste Ähnlichkeit kann ich erkennen!“
|102| „Schlag nur zu, vergiß dich mal wieder!“, rief Heinrich, trat aber vorsichtshalber zwei Schritte zurück.
„Hört auf!“, fuhr die Königinmutter dazwischen. „Du hast Recht, Odda, dein Vater war ein Adler. Aber du bist noch mehr, wie? Über alles erhaben, thronst in den Wolken, gleich unterm Himmel. Bist nicht nur gekrönt, sondern auch gesalbt. Und auch du“, wandte sie sich an Edgith, „bist ja eine ‚Gesalbte‘! Und eine Purpurgeborene bist du auch und hast einen Heiligen in der Familie! Und nun glaubst du, du könntest auf mich herabsehen!“
„Aber das tue ich nicht, das fällt mir nicht ein!“, sagte die Königin erschrocken, weil sie so unverhofft wieder den Zorn der Schwiegermutter erregte.
„Wozu habt ihr denn all diesen Aufwand getrieben, du und Odda? Diese Pracht, diesen Pomp! Dieses schäbige, halb wendische Nest mit Bauten geschmückt! Ein Kloster gegründet und aller Welt als neues Heiligtum vorgeführt. Doch nur, damit Quedlinburg in seinen Schatten gerät. Ins Dunkel wollt ihr mich stoßen!“
„Nein, nein, das wollen wir nicht!“, versicherte Edgith. „Quedlinburg ist wichtiger, berühmter! Es ist die Grabstätte König Heinrichs!“
„Aber man entzieht uns die Mittel! Man stellt uns unter ‚Verfügungsgewalt‘! Man schreibt uns vor, wie wir mit unserem Eigentum zu verfahren haben. Jede Münze, die wir den Armen geben …“
„Genug!“, fuhr Otto
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