Abgründe der Macht - Roman über einen Sachsenkönig
mit einer großen Hetzjagd zu beenden. Allerdings zeigte er Verständnis, wenn es Gründe gab, die Abreise nicht aufzuschieben. Nicht wenige hatten weite, beschwerliche Wege durch dichte Wälder und tückische Sumpfgebiete vor sich, denn es gab nur wenige sichere und befestigte Straßen, die diesen Namen verdienten, und auch sie wurden schwer passierbar, wenn die frühherbstlichen Regenfälle und Stürme anhielten. So zogen es viele vor, zur Jagd von der |95| heimischen
civitas
oder Burg aus in die nahen eigenen Jagdgebiete aufzubrechen. Auch andere Gründe wurden für eine unverzügliche Abreise vorgebracht. Kein Graf und kein Bischof konnte sicher sein, dass es nicht während seiner fast einmonatigen Abwesenheit zu Hause Händel gegeben hatte, die dringend seine Rückkehr erforderlich machten.
Auch Herzog Eberhard brach auf. An der Spitze seiner Großen, unter denen sich auch die vier Männer befanden, die Otto zum Hundetragen verurteilt hatte, erschien er zu einem kurzen Abschiedsbesuch im Palatium und alle taten so, als sei nichts geschehen. Otto hatte freilich zuvor auf dringende Bitten der Königin der Schandstrafe einen weiteren Gnadenakt folgen lassen. Er hatte, wenngleich innerlich widerstrebend, die Vier noch einmal zu sich gerufen und ihnen zum Zeichen der Versöhnung und der unverbrüchlichen Gemeinsamkeit von Sachsen und Franken durch den Kämmerer Hadalt Geschenke überreichen lassen: kostbares, mit Silberbeschlag verziertes Zaumzeug. Und als wollte er dem König in seinem Versöhnungswerk nicht nachstehen, hatte Herzog Eberhard inzwischen seine Bußgeldverpflichtung mit Pferdekäufen fast vollständig erfüllt. Man plauderte ein wenig, leerte einen Becher zum Abschied und trennte sich in freundlichem Einvernehmen.
Zum Erstaunen des Königs suchte ihn auch sein Halbbruder Thankmar auf und bedankte sich für die Einladung zur Jagd, an der er mit seiner Gefolgschaft teilnehmen wollte. Otto hatte eher erwartet, dass Tammo nach ihrer heftigen Auseinandersetzung in der Erbschaftsfrage ohne Aufschub und Abschied in seine thüringischen Burgen zurückkehren würde. Doch offenbar lag ihm daran, es nicht zum Bruch kommen zu lassen. Mit keinem Wort erwähnte er die strittige Angelegenheit, nachdem er wohl eingesehen hatte, dass nichts zu erreichen war. Stattdessen äußerte er überraschend die Absicht, demnächst zu heiraten, nannte auch den Namen der in Aussicht genommenen Braut und ließ durchblicken, dass er mit seinem künftigen Schwiegervater, einem Klostervogt, schon einig sei. Vom König wolle er wissen, ob er sich mit dieser Heirat unter seinem Stande nicht zu sehr herablasse. Otto beeilte sich, solche Bedenken zu zerstreuen. Es freute ihn, dass der streitsüchtige Sturkopf diesmal nicht etwas Unerfreuliches ausbrütete, sondern seine Gedanken auf die Gründung einer Familie richtete. Für den Dreißigjährigen war es Zeit dazu.
|96| Nach und nach hatten alle, die nicht bleiben wollten, ihre Abschiedsbesuche gemacht und Otto konnte nun seine Gedanken ganz auf die Vorbereitungen zur Jagd richten. Er war ein begeisterter Jünger Nimrods und hatte sich schon als Knabe durch Geschick beim Aufspüren und Sicherheit beim Erlegen des Wildes hervorgetan. Es war seine Gewohnheit, selbst an den Jagdspeeren, Wurflanzen und Pfeilen Hand anzulegen, mit denen er jagen wollte. So saß er an diesem Vormittag im späten September auf einem Holzklotz, ein Messer in der Hand, und bearbeitete das Ende eines Lanzenschafts aus Eschenholz, um es zum Aufsetzen der Spitze passend zu machen. Er strengte sich an, Schweiß rann ihm von der Stirn und floss in den Bart, die blaue ungegürtete Tunika war voller dunkler, feuchter Flecke. Was rings um ihn auf dem belebten Wirtschaftshof vor sich ging, nahm er kaum wahr. Knechte führten Pferde zur Tränke, Mägde schleppten große Holzeimer mit Milch, geschäftig eilten Männer des königlichen Gefolges umher, Jagdhunde an der Leine führend. Hinter Otto, an einer Wand der Schmiede, lehnten noch mehrere Schäfte, die er sich vornehmen wollte. Er schabte das Holz und blickte nicht auf. So bemerkte er nicht gleich, dass unter dem offenen Bogentor, das zu dem Ziergarten hinter dem Palatium führte, ein Grüppchen vornehmer Personen auftauchte, unter denen sich drei Damen befanden.
Vorn ging Frau Mathilde, von Heinrich gestützt und geführt, damit sie mit ihrem knöchellangen Gewand, über dem sie einen Reisemantel trug, auf dem ungepflasterten Hof nicht in Tierkot und Pfützen trat.
Weitere Kostenlose Bücher