Abgründe der Macht - Roman über einen Sachsenkönig
die ich auf mich geladen habe, verziehen wird. Höchste Zeit ist es deshalb zur Umkehr! Wir haben Graf Dedi ein letztes Geleit gegeben. Seine Männer werden ihn hier beerdigen. Mögen sie danach tun, was sie wollen. Wir vom Bardengau treten den Rückmarsch an!“
„Feige Flucht?“, schrie Thankmar. „Ist das die Ehre eines Billungers?“
|131| „Ist es die Ehre eines Liudolfingers, des ältesten Sohnes von König Heinrich, im Reich seines Vaters wie ein Räuberhauptmann zu wüten?“
„Noch einmal: Wer mich verlassen will, ist mein Feind!“
„Willst du uns hindern?“, rief Wichmann spöttisch auflachend. „Du könntest es, großer Heerführer … doch dazu müsstest du deine Heerhaufen hier auf der Burg in Bereitschaft haben. Aber die streunen ja unten im Tal umher wie Schweinerudel. Hier sehe ich nur gerade so viele, hehe, dass einer von dir auf drei oder vier von uns käme. Willst du es wirklich auf einen Kampf ankommen lassen? Ich fürchte, das würde schon jetzt das Ende des Herzogs Thankmar sein!“
Wichmann ging zu seinem Pferd, setzte einen Fuß in den Steigbügel und mit Hilfe eines Knechts, der ihm Schwung gab, rappelte er sich in den Sattel.
„Nun, leb wohl! Ah, da hätte ich beinahe vergessen, hehe, dir etwas Wichtiges mitzuteilen. Ein Mann, den ich ausgeschickt hatte, kam mit einer Neuigkeit zurück: Der König hat sich besonnen und kehrt gemacht! Hat sich entschlossen, die bayerische Angelegenheit aufzuschieben und erst in Sachsen und Franken Ordnung zu schaffen. Er ist mit seinem Heer unterwegs – hierher!“
Der Alte hob den Arm und streckte ihn aus, die Richtung zum Tor weisend. Ungeordnet setzten sich einige hundert sächsische Krieger, die mit ihm heraufgekommen waren, darunter viele zu Pferde, in Bewegung. Es gab Rempeleien mit den Zurückbleibenden, man schrie sich Beleidigungen zu. Zu Schaden kam niemand. Eine riesige Staubwolke zurücklassend, die sich erst allmählich senkte, verschwand Graf Wichmann mit seinen Leuten.
Mit starrem Blick und vollkommen reglos sah Thankmar ihnen nach. Es war, als begriffe er noch nicht, dass ihn in diesem Augenblick ein beträchtlicher Teil seiner Streitmacht verließ. Erst als die Letzten das Tor passiert hatten, rührte er sich.
Der Halbkreis seiner Leute hatte sich wieder geschlossen. Mehr als hundert Augen waren auf ihn gerichtet, eine Erklärung wurde erwartet. Er riss sich zusammen und begann mit gewohntem rhetorischem Schwung.
„Da ziehen sie ab, diese Ehrvergessenen, diese Treulosen, diese Wortbrüchigen! Nur aus Mitleid hatte ich mich mit Wichmann verbündet, |132| weil er mich darum gebeten hatte. Ich glaubte auch, weil er große Verdienste hat und mein Vater, König Heinrich, ihn schätzte, könnte er noch einmal nützlich sein. Doch das Gegenteil war der Fall – er stiftete Schaden! Gab ich einen Befehl, erteilte er einen Gegenbefehl. Sagte ich: ‚Losschlagen‘, schrie er: ‚Abwarten‘. Wäre es nach seinem Willen gegangen, lägen wir jetzt noch hungernd, dürstend und in der Gluthitze schmorend vor der Mauer von Belecke. Ich gab den Befehl zum Sturm – und es war richtig. Jetzt aber bin ich es, der sagt: ‚Abwarten!‘ Warum soll ich euch Mühen aufladen und euer Blut vergießen? Alles, was wir begehren, werden wir auch ohne Mühen und Blutvergießen erhalten!“
„Wenn der König kommt“, sagte mit lauter Bassstimme einer, der ganz vorn stand und sich auf seine Lanze stützte, „sind wir ohne die vom Bardengau verloren.“
„Und ohne die Franken erst recht“, krähte von hinten ein anderer. „Wenn die nicht mitmachen, ist es aus!“
„Dummköpfe!“, fuhr Thankmar sie an. „Begreifen nichts und reden ohne Verstand daher! Ich erkläre es euch noch einmal …“
Er war aber aus der Fassung geraten und suchte nach Worten. Erst nachdem er noch einen Becher Wein hinuntergestürzt hatte, sprach er weiter, zornig, erregt, in abgerissenen Sätzen.
„Das war doch nur eine Lüge … eine verdammte Lüge! Im letzten Augenblick fiel sie ihm ein, dem boshaften Alten. Erschrecken wollte er euch … das ist alles. Odda ist irgendwo unten in Bayern, schlägt sich mit dem neuen Herzog herum. Auch den hat er gegen sich aufgebracht, weil er ihm Rechte verweigert … so wie mir … Rechte, die wir uns aber nicht nehmen lassen. Die Bayern sind ein tapferes Volk … nur ein schlechter König legt sich mit ihnen an. Er wird die Strafe dafür erhalten, ohne dass wir etwas dazutun. Und deshalb brauchen wir auch die Franken
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