Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Abgründe der Macht - Roman über einen Sachsenkönig

Abgründe der Macht - Roman über einen Sachsenkönig

Titel: Abgründe der Macht - Roman über einen Sachsenkönig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Gordian
Vom Netzwerk:
Kurzbolds Bruder Udo, Graf in der Wetterau, hatte sich dem König unerwartet mit mehreren hundert Mann angeschlossen. Schließlich war ihm – noch überraschender – Wichmann Billung entgegengekommen. Der stolze Alte hatte ein Knie gebeugt und demütig um Vergebung und Gnade gebeten. Otto hatte sie gern gewährt, denn der Zuwachs durch die Männer vom Bardengau machte sein Aufgebot endgültig zu einem Reichsheer, das seine Gegner ernst nehmen mussten.
    Nur widerwillig hatte sich Otto in Ingelheim entschlossen, seine Absichten zu ändern. Allerdings war ihm kaum eine Wahl geblieben. Offener Aufruhr in seinem Rücken duldete keine Verzögerung. Dass die Beteiligten zu den Mächtigsten und Angesehensten im |137| Reich gehörten, machte sein Eingreifen umso dringlicher. Dass sein jüngerer Bruder zu den Opfern der Empörer gehörte, verpflichtete ihn als nächsten Verwandten. Und es war bei all dem Eile geboten. Ein großes Heer konnte nicht lange unbeschäftigt zusammengehalten und versorgt werden, ohne dass die Ordnung sich lockerte und die nicht zu bremsende Gewalt sich an Unschuldigen austobte. Das konnte der König weder wollen noch billigen. Er brauchte aber dieses Heer, diese eindrucksvolle drohende Masse, noch zu einem zweiten, seinem ursprünglichen, nicht weniger wichtigen Unternehmen: den Widerstand der Bayern zu brechen und das Herzogtum dem Reich zu erhalten.
    So hatte er Hermann Billung befohlen, seinen Auftrag schnell und unter Einsatz aller sich bietenden Möglichkeiten auszuführen. Wichmann, der reuige ältere Bruder des
princeps militiae
, hatte sehr geringschätzig von den Empörern gesprochen und ihre Gefolgschaft als zuchtlos und unzuverlässig bezeichnet. Hermann sollte das ausnutzen und mit Versprechungen und Drohungen die Verteidiger der Burg untereinander veruneinigen.
    Ein erster Bericht, mit dem er einen Boten herunter schickte, klang schon verheißungsvoll. Die Aufforderung, sich gegen Begnadigung zu ergeben, hatten die Torwachen zwar hohnlachend abgelehnt, doch hatten sie es vermieden, die Königlichen, die bis auf Pfeilschussweite herangerückt waren, von den Wachtürmen und der Mauer aus zu beschießen.
    Der zweite Bote berichtete von einem heftigen Wortgefecht zwischen Hermann Billung und einem Anführer der Empörer, Thiadrich. Auch dieser hatte Aufgabe und Unterwerfung entschieden abgelehnt. Doch waren im Hintergrund Geschrei und Schwerterklirren vernehmbar gewesen, offensichtlich von einem Kampfgetümmel herrührend.
    Kurz darauf kam ein dritter Bote die Anhöhe herab. Atemlos schilderte er die neue Lage am Burgtor: Offensichtlich war es dem Vogt Grimbald gelungen, seine Leute aus der Kerkerhaft zu befreien und die Torwachen anzugreifen. Ein erbittertes Gefecht sei im Gange, man habe Rufe wie „Räuber!“, „Mörder!“, „Bringt sie um, macht sie nieder!“ und „Heil König Otto!“ gehört.
    Schließlich stürzte ein vierter Bote herbei, dem dritten fast auf dem Fuße folgend. Er berichtete, dass die Kämpfe anhielten, das Tor jedoch noch immer geschlossen sei. Es sei aber auch unter den |138| Leuten des Königs zum Streit gekommen. Einige Gefolgsmänner des entführten Herrn Heinrich hätten zum Angriff gedrängt, und so habe sich der Heerführer, der eigentlich abwarten und Verluste vermeiden wollte, zum Einsatz des Widders entschlossen.
    Wenig später waren im Tal die dumpfen Stöße des Rammbocks gegen das Burgtor zu vernehmen. Nach einer Weile hörte man aber nichts mehr. Zu sehen war auch nichts, weil Felsbrocken, Bäume und Buschwerk die Sicht verdeckten. Kein Bote kam mit neuen Meldungen. Es ging auf die sechste Stunde, die Mitte des Tages. König Otto wartete. Auch die Scharen des in der Ebene lagernden Kriegsvolks warteten ungeduldig. Es war befohlen, sich für den Hinaufmarsch zur Burg bereit zu halten. Lieber würde man jetzt im Fluss ein Bad nehmen, einen Kessel mit Fleisch auf das Feuer setzen und sich im Schatten eines Zeltes von den kräftezehrenden Märschen erholen. Erschöpfung, Ärger und Spannung waren gleichermaßen Ursachen für die unnatürliche Stille, in der diese riesige Männeransammlung verharrte. Nur ab und zu hörte man ein Pferd wiehern oder einen Vogel schreien.
    „Wie lange noch? Warum ergibt er sich nicht?“
    Unter der feuchten Tunika rieb sich der König die zottig behaarte Brust. Er erwartete nicht, dass Hadalt seine Frage beantwortete. Doch der Kämmerer ergriff die Gelegenheit, eine Gegenfrage zu stellen, weil ihn seit dem Bericht des

Weitere Kostenlose Bücher