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Abgründe der Macht - Roman über einen Sachsenkönig

Abgründe der Macht - Roman über einen Sachsenkönig

Titel: Abgründe der Macht - Roman über einen Sachsenkönig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Gordian
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unübersehbar. Im Gras lagen Tote. Lanzen, Schwerter und Dolche der Empörer waren in der Mitte der Burg aufgehäuft. Die Entwaffneten und ihrer Kleider Beraubten, mehrere hundert fast nackte Männer, standen ängstlich zusammengedrängt am Rande der Bergkuppe, die gleich hinter ihnen steil abfiel. Die Sieger hatten schon einige hinabgestoßen und drohten jedem, der sich noch widerspenstig zeigte, das gleiche Schicksal an.
    Mit „Heil“-Rufen und Trommelschlägen auf die Schilde begrüßt, ritt König Otto in die Burg ein. Hermann Billung trat ihm entgegen und meldete die vollständige Entwaffnung der Empörer. Er winkte den Burgvogt Grimbald an seine Seite und berichtete kurz den Hergang. Nachdem er allen, die die Waffen strecken würden, des Königs Vergebung zugesichert hatte, war es unter den Empörern zum Zerwürfnis gekommen. Der überwältigende Anblick des Reichsheers unten im Tal hatte schon vorher Wirkung gezeigt. Immer |143| mehr schrumpfte die Zahl derjenigen, die durchhalten und die Burg verteidigen wollten. Bald kam es zu ersten Tätlichkeiten, die nach und nach in ein erbittertes Gefecht ausarteten, in dessen Verlauf noch einmal viele zu den Abtrünnigen übergingen. Unterdessen konnte der wackere Burgvogt Grimbald die Wirrnis nutzen, um seine Leute aus dem Kerker zu holen. Die Befreiten überfielen und überwältigten die Torwache der Empörer, warfen die Riegel zurück, entfernten die Balken. Beim Anblick der hereinströmenden Belagerer gaben die Letzten auf, die sich noch gegen das Unvermeidliche gewehrt hatten.
    Otto saß ab, drückte Hermann Billung und Grimbald die Hand, umarmte die beiden. Die Anführer der Empörung, eilig gefesselt und geknebelt, wurden herbei geschleppt und ihm vorgeführt. Er kannte sie flüchtig, es waren Franken von zweifelhaftem Adel. Der Älteste, Thiadrich, war übel zugerichtet, der Graubart musste sich bis zuletzt gegen die Niederlage gewehrt haben. Eines seiner Augen war zugeschwollen, mit dem anderen sah er den König herausfordernd an. Iglolf hielt die Augen gesenkt, der dicke Heriger bat mit flehender, hündischer Miene um Vergebung, der junge Roudhart blickte, als sei er gelangweilt, zu den vorüber ziehenden Wolken hinauf. Neben den vieren standen zwei Sachsen, Uhtrad und Hugwald, die Otto schon immer für abgefeimte Schurken gehalten hatte.
    Er wandte sich wieder an Hermann Billung.
    „Und
er
? Wo ist
er
?“
    Der Heerführer wich dem Blick des Königs nicht aus. Er antwortete aber nicht gleich, zupfte an seinem gesträubten Schnurrbart, rückte den Helm zurecht.
    „Nun, er …“
    „Warum ist er nicht hier?“, fragte Otto drängender.
    „Er ist da hinten … in der Kirche.“
    „Was macht er dort? Betet er? Glaubt er, Gott wird für ihn ein Wunder tun?“
    „Das nicht“, sagte Hermann Billung. „Geht hin und seht selbst.“
    Einen Augenblick blickten sie sich scharf an und jeder schien dem anderen eine stumme Frage zu stellen. Der Heerführer deutete mit einer Kopfbewegung nach dem höchsten Punkt der Eresburg, an der Nordseite, wo die Kirche stand.
    „Geht hin und seht selbst“, wiederholte er.
    |144| Die Tür des kleinen, dem Apostel Petrus geweihten Gotteshauses musste nicht erst geöffnet werden, sie war aufgebrochen worden und lag zertrümmert neben dem offenen Eingang. Als der König mit Hermann Billung und mehreren Männern seines Gefolges den schmalen, niedrigen, halb dunklen Raum betrat, bemerkte er zuerst die vier Mönche, die vor dem Altar knieten. Sie psalmodierten zur Sext, unterbrachen sich aber sofort, als sie die Schritte hinter sich hörten, und verzogen sich in eine Ecke. Aus einem schmalen Bogenfenster fiel Licht auf den Altar und das blutbefleckte Tuch, das ihn bedeckte. Auch der Teppich auf der hinaufführenden Stufe wies Blutflecke auf. Ein Speer mit blutiger Spitze lehnte an der Wand, mehrere Lanzen lagen verstreut auf dem Steinboden. Von dem großen Altarkreuz war das halbe Querholz abgebrochen. Ein zerrissener Mantel lag auf der Stufe, neben dem Altar ein einzelner Schuh.
    Gunzelin war es, der den Leichnam hinter einem der Pfeiler seitlich des Chorraums zuerst entdeckte. Er machte den König aufmerksam. Der Tote lag abgewandt, zusammengekrümmt auf der Seite. Sein struppiges Haar war blutverklebt, eine tiefe Wunde klaffte an seinem Hals.
    „Das ist er nicht“, sagte Otto zu dem Billunger.
    „Nein. Er liegt dort hinter dem Vorhang.“
    Otto riss selbst den Vorhang zu einer Nische im Chorraum beiseite. Auf einem

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