Abgründe (German Edition)
Ethan ungehalten.
»So um die dreißig, schlank, kurze, dunkle Haare...« Donovan unterbrach sich selbst. »Du meinst–«
Ethan legte auf, ohne seinen Partner ausreden zu lassen. Mit zitternden Fingern wählte er Evangelines Nummer, aber sie nahm nicht ab. Er hastete zur Treppe. Die Entführung war etwa eine Stunde her. Der Täter konnte Evangeline längst in sein Versteck gebracht haben, konnte ihr längst etwas angetan haben. Er hatte sie sich in Salem geschnappt. In einem blauen Saturn SL und –
Ethan blieb wie vom Donner gerührt stehen und musste sich am Geländer abstützen, um nicht durch seinen eigenen Schwung weiter zu stolpern.
Haley fuhr einen blauen Saturn SL. Ethan hatte ihm den Wagen zum Highschool-Abschluß vor mehr als zwei Jahren geschenkt. Das konnte entweder ein ganz blöder Zufall sein – oder es bedeutete, und das hielt Ethan in seinem adrenalindurchströmten Kopf für wahrscheinlicher – dass die Bestie sie sich beide geschnappt hatte. Er hastete nach oben, denn er brauchte dringend Schmerzmittel und Munition, um etwas ausrichten zu können. Er hatte keine Zeit zu verlieren, doch als er am Bad vorbei kam, stockte er. Mit den Jahren hatte er ein ganz gutes Gespür dafür entwickelt, wenn etwas nicht stimmte.
Langsam betrat er den Raum. Das Fenster war geschlossen und die Luft war feucht, als habe hier vor kurzem noch jemand heiß geduscht. Ethan entdeckte eine kleine Wasserlache, die sich vor der Duschkabine gebildet hatte und seinen Verdacht bestätigte.
Dann fiel sein Blick auf ein viel kleineres, doch tausend Mal bedeutenderes Detail: Am Spiegel hing ein gelber Post it-Zettel, die Sorte, auf der man sich im Büro schnelle Notizen machte. Doch die Nachricht, die er hier vorfand, war keine harmlose, schnelle Notiz.
Komm nach Hause, Ethan Hayes.
Keine Verstärkung, keine Presse.
Ich warte auf dich.
-105-
Im Auto hatte er sein Handy angeschlossen. Während er den Wagen einhändig aus Virginia Beach heraus lenkte, versuchte er abwechselnd Evangeline und Haley zu erreichen. Erfolglos. Mit zitternden Fingern suchte er die Nummer von Haleys Freundin heraus – vielleicht war er noch dort. Vielleicht war zumindest er in Sicherheit.
»Mister Hayes?« Ihre Stimme klang fragend.
»Ja. Abby, ich muss dringend wissen, ob Haley noch bei dir ist.« Ethan klang gehetzt, hatte seine Stimme nicht unter Kontrolle. Er war fest überzeugt, das Mädchen total verängstigt zu haben, aber sie klang nur verwirrt.
»Noch? Aber er wollte doch erst heute kommen.«
»Heute.« Seine Stimme war tonlos.
»Ja, heute. Zu meinem Geburtstag. Am Samstag. Hat er gar nichts gesagt?«
»Dein Geburtstag war doch am letzten Wochenende!«
Abby lachte. »Nein, Mister Hayes. Der ist morgen . Wir feiern rein.«
Ethan ließ langsam das Telefon sinken und spürte, wie ein ungutes Gefühl ihm die Kehle zuschnürte. Er drückte das Gespräch weg. Warum hatte Haley ihm erzählt, dass er am letzten Wochenende nach New York zu Abby fahren wollte, wenn er dann doch nicht dort gewesen war? Wo hatte er sich die ganze Woche über herumgetrieben, wenn er nicht bei Abby gewesen war?
Haley hatte Ethan noch nie etwas vorgemacht. Das konnte nur bedeuten, dass etwas nicht stimmte. Im schlimmsten Fall, dass der Killer sie sich tatsächlich beide geschnappt hatte. Dass Haley vielleicht schon seit einer Woche in der Gewalt eines Wahnsinnigen war. Doch wer war dann die Frau, die er bei einem ihrer letzten Gespräche im Hintergrund gehört hatte? Ethan versuchte, sich zu beruhigen, auch wenn ihm das Herz bis zum Hals klopfte. Vielleicht hatte Haley eine Andere. Ein Mädchen, von dem Abby nichts wissen sollte. Das war logisch.
Er bog auf die Interstate und beschleunigte den Wagen. Er wusste, was der Killer mit nach Hause meinte – es gab nur einen Ort außer seinem Haus in Virginia Beach, den er jemals als sein Zuhause betrachtet hatte: Detroit. Und dass die Bestie diesen Ort wählte, bestätigte Ethans düstere Vorahnung ein weiteres Mal: Er, als Mensch und nicht als Cop, war Teil dieser Sache.
-106-
Cleveland, Pittsburgh, Washington und Richmond – Richmond, Washington, Pittsburgh, Cleveland. Es schien, als würden alle wichtigen Wendepunkte in Ethans Leben von der Strecke zwischen Detroit und Virginia Beach bestimmt. Vor zehn Jahren, um vor dem Fall zu fliehen, durch den er Madisons Leben zerstört hatte und jetzt den gleichen Weg zurück, um seinen Sohn und die Frau zu retten, die er schon genug verletzt hatte.
Seit
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