Abgründe (German Edition)
vergessen.
»In so einem Männerhaushalt wird sicher nicht allzu oft gekocht und deshalb dachte ich, komme ich mal vorbei, weihe eure Küche ein und wir essen zusammen.«
»Tolle Idee.« Die Ironie in Haleys Stimme war kaum überhörbar. Ethan hingegen freute sich über Evangelines Besuch. Vielleicht fand sie, entgegen seiner Befürchtungen, doch Gefallen an ihm.
»Dad und ich wollten gerade irgendwo was trinken gehen«, fügte Haley gleichmütig hinzu.
»Was trinken.« Evangeline klang, als befürchte sie, er wäre einer dieser Väter, die ihren Söhnen das Saufen beibrachten und anschließend mit ihnen in den Puff gingen. »Wenn das so ist... ich will natürlich nicht stören.« Sie lächelte, aber zu seiner eigenen Überraschung hatte Ethan den Eindruck, dass sie ein wenig gekränkt war.
Dann schlug er das wahrscheinlich Idiotischste vor, was in so einer Situation möglich war: »Wir können ja was zu dritt machen.«
»Eine tolle Idee, Dad.« Haley wandte sich von der Tür ab und grinste spöttisch. Ethan konnte es ihn nicht verdenken. Welcher Sohn wollte schon sehen, wie sein Vater versuchte, eine Frau abzuschleppen?
»Ruft mich, wenn das Essen fertig ist. Ich wär' nicht sauer über Nachtisch.« Damit verschwand er nach oben.
Ethan bat Evangeline herein, nahm ihr die Tüte ab und hoffte, dass er nicht so ein schlechter Vater war, wie es ihm im Moment vorkam. Schließlich verhielt sich Haley ähnlich, wenn Abigail zu Besuch war. Abby war seit der High School seine Freundin, doch seit sie auf dem College in New York war, sahen die beiden sich nur noch selten. Für Ethan war es selbstverständlich, dass sie dann jede freie Minute miteinander verbrachten.
»Die Küche ist ja uralt!«
Er blickte auf, bemerkte, dass Evangeline schon vorgegangen war und folgte ihr. Sie drehte sich grinsend um die eigene Achse und bestaunte die betagten Holzmöbel.
»Sie war schon hier, als ich eingezogen bin.«
»Schon mal über eine Neuanschaffung nachgedacht?«
Ethan stellte die Papiertüte auf der Anrichte ab und Evangeline begann, sie auszupacken.
»Nein. Um ehrlich zu sein, hattest du Recht mit deiner Vermutung. Wir kochen nicht allzu oft.«
»Ihr wärmt nur auf«, stellte Evangeline mit einem amüsierten Blick auf die Mikrowelle fest. »Tja, du kannst das Kochen jetzt nachholen.« Sie warf ihm einen Bund Karotten zu. »Waschen und schälen bitte. Wir machen Lasagne und Salat. Zum Nachtisch gibt es meine Spezialität.«
Ethan lächelte, nahm ein scharfes Messer aus der Schublade und drehte sich zu ihr um.
»Crème Brulée. Danach wird mich auch dein Sohn mögen.« Sie stand am Herd, hob einen kleinen Gasbrenner und ließ ihn aufflammen. Ethan prallte zurück und ließ das Messer fallen. Evangeline löschte die winzige Flamme und blickte ihn irritiert an. »Ist alles in Ordnung mit dir?«
»Ja, es geht schon«, log Ethan, aber sie durchschaute ihn mühelos.
»Ist es wegen dem Tod deiner Ex?« Sie kam auf ihn zu und blieb dicht vor ihm stehen. »Diese Flamme ist ganz anders als die einer Zigarette. Du kannst jederzeit-«
»Nein, das ist es nicht.« Ethan hob das Messer wieder auf und versuchte, seine Coolness zurückzugewinnen. »Bei einem Fall vor vielen Jahren...« Er wusste nicht, wie viel oder wie wenig er ihr über Geschehnisse von damals sagen konnte. »Da ist jemand angezündet worden. Ich war dabei und habe gesehen, was das Feuer angerichtet hat. Seitdem habe ich ein kleines Problem mit offenen Flammen«, deutete er schließlich an, aber es schien drastisch genug für sie zu sein, denn ihre Augen weiteten sich vor Schrecken.
»Ich versteh' schon. Ich bin sehr vorsichtig mit dem Brenner.« Sie lächelte ohne eine Spur von Häme und berührte Ethan kurz an der Schulter.
Er erwiderte ihr Lächeln, doch in Wahrheit sah er in diesem Moment nicht ihr perfektes Gesicht. Er sah Madison. Sie stand in Flammen.
Es war ungewohnt, zu dritt zu essen. Die familiäre Stimmung schien Haley genauso zu befremden wie Ethan. Sein letztes Familienessen war Jahrzehnte her und damals war er noch der Sohn gewesen. Wie Haleys Mahlzeiten in Detroit ausgesehen hatten, konnte er sich nur ausmalen.
Evangeline schien die seltsame Stimmung nicht zu stören. Sie quetschte Haley über seine Zeit auf dem Kenyon College aus. Ethan hatte seinen Sohn nach der High School dorthin geschickt, was ihn Einiges an Überredungskraft gekostet hatte. Haley hatte jedoch trotz aller guten Argumente geglaubt, sein Vater wolle ihn möglichst
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