Abgründe (German Edition)
Tochter und somit vollstes Verständnis.
Das Schulgebäude flimmerte in der Hitze. Es war unerträglich warm. Keeley warf einen sehnsüchtigen Blick auf die gegenüberliegende Straßenseite. Eine Frau saß dort im Schatten der Bäume, auf dem Kopf einen riesigen Sonnenhut.
Keeley fächerte sich Luft zu und stellte erfreut fest, dass der Unterricht endlich beendet zu sein schien. Kinder strömten in Massen aus dem Gebäude. Von einer Sekunde auf die andere wurde es laut und Gelächter durchbrach die Stille der Mittagshitze.
Auch Ivy war unter den Kindern. Als sie ihre Mutter entdeckte, die ihr lächelnd zuwinkte, rannte sie los. Keeley drückte ihr einen Kuss auf die Wange und nahm ihr den Rucksack ab. Hand in Hand schlenderten sie zu ihrem kleinen Wagen. Es dauerte eine Weile, bis Keeley ihre Tochter und die Einkäufe vernünftig verstaut hatte und selbst eingestiegen war. Die Straße war mittlerweile ein bisschen freier geworden und sie legte den Rückwärtsgang ein. Ivy plapperte ununterbrochen und berichtete über ihre Erlebnisse in der Schule. Sie war schon immer gern zum Unterricht gegangen, was Keeley sehr zu schätzen wusste. Als sie gerade zurücksetzte, sah sie im Rückspiegel, dass die Frau auf der Bank gegenüber plötzlich nach vorne kippte.
Sie runzelte die Stirn. »Schätzchen, du wartest einen Moment, ja?« Ohne auf eine Antwort ihrer Tochter zu warten, stieg sie aus und eilte über die Straße.
»Entschuldigung?« Vorsichtig trat sie an die Frau mit dem großen Sonnenhut heran. Sie war merkwürdig gekleidet und hing regungslos von der Bank, wobei ihre Hände den Rasen berührten.
»Geht es Ihnen nicht gut?«
Keine Reaktion.
Sie berührte die Schulter der Frau und bemerkte, dass sie unnatürlich kalt war. »Kann ich Ihnen irgendwie helfen?« Vorsichtig hockte sie sich hin und hob den riesigen Hut der Frau ein Stück an.
»Großer Gott!!«, entfuhr es Keeley und sie fiel rücklings ins Gras.
-40-
Ethan konnte noch immer keinen klaren Gedanken fassen, so sehr er sich auch bemühte. Wie in Trance sah er der Spurensicherung bei der Arbeit zu. Es hatte keine Stunde gedauert, bis sie herausgefunden hatten, dass es sich bei der Leiche auf der Bank vor der Schule um Roxanna Johnsonn handelte. Es war nicht besonders schwer zu erraten gewesen, worauf der Killer mit seinem 'Werk' abzielte. Er hatte offenbar von Roxannas Doppelleben gewusst und es auf seine Art der Öffentlichkeit mitgeteilt: Durch eine grausame Version von Doktor Jekyll und Mister Hyde. Signiert hatte er die Leiche wie üblich mit einem blutroten A auf der Stirn.
Ethan sah sich dem Schicksal gegenüber machtlos. Egal was er tat, es war falsch. Madison war tot. Roxanna Johnsonn war es. Grace, Tiffany und Ava ebenfalls. Er hatte diese Frauen nicht retten können und er fürchtete sich vor dem, was noch kommen würde. Wie lange würde der Killer sein grausames Spiel noch fortführen, wie lange würde er der Polizei noch einen Schritt voraus sein? Alles was sie gegen ihn in der Hand hatten, waren einzelne Bausteine, die sich einfach nicht zu einem logischen Gebilde zusammenfügen ließen. Immer passte etwas nicht. Das fing schon beim Täterprofil an. Obwohl er noch nie an Gladys’ Fähigkeiten gezweifelt hatte, ordnete er an, noch mal ein neues zu erstellen. Irgendetwas passte nicht. Gladys’ Theorie eines in der Kindheit misshandelten Mannes ließ sich einfach nicht bestätigen. Zwar hatte Dewey mit allen wichtigen Behörden gesprochen, doch waren die Fälle von misshandelten Kindern in Virginia Beach und der angrenzenden Umgebung erfreulicherweise schwindend gering. Die wenigen Opfer familiären Missbrauchs passten nicht zum Profil des Gesuchten und so hatte sein Kollege seine Nachforschungen immer mehr ausgeweitet. In ganz Virginia war er zu dem gleichen Ergebnis gekommen wie in Virginia Beach und hatte daraufhin die gesamten Staaten überprüfen müssen. Hier waren allerdings derart viele Fälle häuslicher Gewalt gegen Kinder verzeichnet, dass ohne weitere Hinweise auf den Täter keine Möglichkeit bestand, den Verdächtigenkreis einzugrenzen. Momentan ging Donovan noch einmal den Bekanntenkreis der Opfer durch, in der Hoffnung, irgendwo eine Verbindung zu finden.
Mason sprach noch einmal mit dem verrückten Katzenfreak, der mittlerweile in der geschlossenen Abteilung der Psychiatrie saß. Das war allerdings reine Routine und wenig vielversprechend.
Ethan selber hoffte, am Leichenfundort brauchbare Hinweise zu finden, doch er
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