Abgründe (German Edition)
setzen, aller Gegenwehr zum Trotz.
Er riss sich von Roses – und Roxannas – Anblick los und wandte sich der Tasche zu, die er mitgebracht hatte. Darin befanden sich Reinigungsmittel, ein Waschlappen, ein Handtuch sowie frische Kleider für sie und für ihn. Ein Blick auf die Uhr verriet ihm, dass er noch genug Zeit hatte.
-36-
Ethan saß zusammen mit Mason am Schreibtisch in seinem Büro und wertete die über zweihundert Hinweise aus, die sie seit der Pressekonferenz über die extra eingerichtete Hotline erreicht hatten. Öffentliche Aufrufe dieser Art waren immer eine heikle Sache. Es gab Menschen, die sich besonders witzig dabei vorkamen, der Polizei falsche Tipps zu geben. Meistens ließen sich diese Spinner aber leicht erkennen und herausfiltern. Schwieriger war es mit den Hinweisen von Menschen, die sich einbildeten, den Mörder oder das Opfer wirklich gesehen zu haben. Sie schilderten ihre Sichtung in allen Einzelheiten und so überzeugend, dass Ethan und seine Kollegen gezwungen waren, die Sache zu prüfen. Das kostete Zeit und war frustrierend. Sie alle wussten jedoch, dass sich zwischen hunderten von Anrufern immer der Eine verbergen konnte, der sich nicht nur wichtig machen wollte oder übersensibel war, sondern entscheidende Angaben zu Tat, Täter oder Opfer machen konnte.
Ethan seufzte und sah Mason an. »Hier will jemand Roxanna gesehen haben. Das Problem ist nur, dass es vor einer Woche auf der anderen Seite der Welt war.«
»Im indischen Ozean?«
Ethan blickte Mason an. »Ich meine nicht punktgenau auf der anderen Seite, Mason! Australien , okay? Melbourne.«
»Gegenüber von Melbourne liegt aber der Nordatlantik.«
»Willst du mich eigentlich verarschen?« Ethan stand auf. Die bisherigen Hinweise waren allesamt sinnlos und unbrauchbar. Roxanna in Melbourne, was kam als nächstes – der Täter auf dem Mond?
»Ich werde jetzt diese Leute hier besuchen.« Er nahm einen Stapel Papiere von seinem Schreibtisch und hielt ihn Mason vors Gesicht. »Vielleicht ist einer von denen wirklich Johnsonn oder dem Killer begegnet.«
Ohne auf eine Antwort zu warten, verließ Ethan das Büro. Gladys, Donovan und Dewey waren anderweitig beschäftigt und er hielt es einfach nicht länger hier drinnen mit Mason aus. Er wusste, dass Schreibtischarbeit ein wichtiger Bestandteil seines Jobs war, trotzdem kam er sich dabei immer nutzlos, ja regelrecht faul vor.
Er würde drei der Anrufer aufsuchen. Sie hatten Namen und Adressen hinterlassen, was schon mal ein gutes Zeichen war. Falschinformanten blieben in der Regel lieber anonym.
Die ersten beiden Hinweise ergaben leider nichts Brauchbares. Eine alte Dame, die an einer Sehschwäche litt hatte sich schlicht verguckt, wie sich herausstellte, als sie sich Roxannas Foto noch einmal genauer ansah und der zweite Anrufer behauptete, dass Roxanna seine Nachbarin sei. Natürlich hatte Ethan dies sofort überprüft. Die Nachbarin hatte zwar eine gewisse Ähnlichkeit mit der Vermissten, war jedoch gut zehn Jahre älter.
Jetzt war er auf dem Weg zum dritten und letzten Anrufer und hoffte, dass wenigstens sein Hinweis sinnvoll war. Am Telefon hatte der Mann nur erklärt, dass er Roxannas Wagen am Montagabend gesehen hatte und seine Adresse an der Mace Hill Street genannt. Mehr nicht. Er hatte komisch geklungen und irgendetwas sagte Ethan, dass der Kerl mehr wissen könnte.
Er parkte am Ende der Sackgasse vor dem heruntergekommenen Haus, in dem sein Informant wohnte und stieg aus. Noch bevor er seine Wagentür geschlossen hatte, hörte er ein Klopfen und blickte sich verwirrt um. An einem der oberen Fenster des Hauses stand ein kleiner, dünner Mann und deutete verhalten auf die angelehnte Haustür. Dann verschwand er vom Fenster. Ethan runzelte die Stirn, schloss seinen Pontiac ab und trat mit der Hand an der Waffe ein.
Im Inneren war es stickig und dunkel. Auch wenn die Außenfassade einen anderen Eindruck vermittelt hatte, wirkten die Wohnräume eigenartig unbewohnt und steril, wie in einem Möbelhaus. Alles stand an seinem Platz, nichts lag unnötig herum. Es war still und niemand war zu sehen.
Ethan hatte seine Pistole gezogen. Es wäre nicht das erste Mal, dass sich ein Mörder bei der Polizei meldet, um einen Cop in einen Hinterhalt zu locken.
»Hallo?« Ethan klang ungehalten. Er hatte keine Lust auf Spielchen.
»Hier…« Ein Flüstern aus einem der Räume über ihm. Ethan blickte zur Treppe, konnte jedoch immer noch niemanden entdecken.
»Wo sind
Weitere Kostenlose Bücher