Abgründe (German Edition)
gab eine weitere Entführung!«
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Ames starrte an die Decke. Er hatte Claire in sein Versteck gebracht, ohne ein Wort mit ihr zu sprechen und war gleich darauf zu Bett gegangen. Der Drang zu töten war seit seinem Rendezvous mit Roxanna noch nicht zurückgekehrt, doch er hatte nicht anders gekonnt, als eine weitere Frau zu entführen. Eine ganz besondere Frau.
Ethan Hayes und Claire Havering, das ehemalige Traumpaar. Die einzige Frau, die Ethan jemals länger als ein paar Wochen an sich heran gelassen hatte. Sie hatten heiraten wollen, doch dann hatte der gute Detective sie sitzen lassen. Die offizielle Version lautete, dass die beiden sich aus Karrieregründen getrennt hatten, aber Ames wusste es besser. Dieses Miststück Claire war bei Weitem nicht so harmlos, wie sie vorgab. Irgendwann hatte dies auch ihr Zukünftiger schmerzhaft verstehen müssen und die Hochzeit kurzum abgesagt.
Vor ein paar Tagen hatte Claire dann doch noch bekommen was sie wollte und den Immobilienmakler Christopher Travis geheiratet. Zu schade für das junge Paar, dass Ames ihrem Glück ein allzu jähes Ende hatte bereiten müssen.
Es war nicht allzu schwierig gewesen, eine Visitenkarte mit Hayes’ Daten anzufertigen und sie Claire unterzujubeln. Es war alles nach Plan gelaufen, von seiner Verkleidung bis hin zu dem Moment, als sie sich mit ihren verseuchten Fingern die Tränen weggewischt hatte. Perfekt. Die Möglichkeit, dass sein Plan scheiterte, war die Chance gewesen, die er Claire eingeräumt hatte. Er gab den Frauen immer eine Chance, aber die Kleine hatte ja unbedingt beim Anblick der Karte sentimental werden müssen. Bedauerlicherweise ihr Todesurteil.
Ein zufriedenes Grinsen huschte über Ames’ Züge. Er schloss die Augen und war augenblicklich müde. Heute Nacht würde er hoffentlich ohne Albträume schlafen können.
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Keine dreißig Minuten nach dem alarmierenden Anruf versammelte sich das Team in Ethans Büro. Donovan hatte noch einmal genauere Informationen eingeholt und wirkte seit seiner Rückkehr seltsam nervös. Allerdings waren sie alle nicht in der besten Verfassung. Die Anspannung im Raum war spürbar und auf unangenehme Weise elektrisierend.
Mason, in dessen Gesicht die Kratzer nur noch als dünne, rote Linie zu sehen waren, betrat als Letzter den Raum und Ethan ergriff das Wort.
»Also schön. Was haben wir?«
»Ein gewisser Christopher Travis hat seine Frau als vermisst gemeldet«, begann Donovan. »Der Fall ist diesmal besonders tragisch, denn die beiden waren frisch verheiratet.«
Damit fiel die Möglichkeit weg, dass es der Killer auf zerrüttete Paare abgesehen hatte. Dewey schüttelte betroffen den Kopf und blickte zu Boden.
»Und da ist noch etwas…« Donovan sah Ethan an, doch sein Blick war undeutbar. Ein ungutes Gefühl machte sich in Ethans Eingeweiden breit.
»Was? Raus mit der Sprache, Donovan!«
»Die Vermisste hört auf den Namen Claire Travis… geborene Havering.«
Ethan spürte, wie ihm schwindelig wurde und ließ sich auf seinen Schreibtischstuhl sinken. Das durfte nicht wahr sein. Von allen Frauen aus Virginia Beach sollte sich der Verrückte ausgerechnet seine Ex herausgepickt haben?
Gladys fing seinen Blick auf und sah ihm fest in die Augen. »Du glaubst doch nicht, dass das ein Zufall ist, oder?«
Bevor Ethan etwas erwidern konnte, meldete sich sein Partner erneut zu Wort. »Ich denke, das sollten wir alle nicht glauben. Das Auto der Vermissten wurde auf einem Supermarktparkplatz gefunden. Neben der Fahrertür lag eine Visitenkarte.«
»Und?« Ethan hatte keine Ahnung, worauf Donovan hinaus wollte.
»Und darauf stand dein Name, Eth.«
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Neue Kleider sollen immer etwas verbergen. Kleider, die zu lange getragen werden, entwickeln einen speziellen Geruch. Wie Ammoniak. Beißend und scharf. Wie der Messerblock in der Küche. Die Messer, die darin stecken, passen nicht zusammen. Wenn man nur die bunten Griffe sieht, wirken sie freundlich. Eine Hand greift nach einem davon. Los, unter die kalte Dusche, sonst schneide ich dir die Kehle durch! Ein Lächeln, ein geblümtes Kleid. Sie rührt in einem Topf. Unter die Dusche sage ich! Eine Hand schließt sich um ein Handgelenk, jede Weigerung ist jetzt nutzlos. Wenn nicht kalt, dann eben heiß. Heiß und kalt, Verbrennungen und Erfrierungen, haben fast die gleichen Symptome, die gleichen Wunden, die gleiche Art von Schmerz. Aber es ist ein unvergleichlicher Schmerz, wenn ein Arm auf die heiße Herdplatte
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