Abgründe (German Edition)
ansonsten blieb alles totenstill.
Ethan bedeutete seinem Partner, ihm ins Innere des Hauses zu folgen. Es war so verkommen, wie die Fassade von außen vermuten ließ. Die Tapeten waren teils abgerissen, in den Ecken wucherte Schimmel. Der Treppe, die vom Flur aus ins Obergeschoss führte, fehlte ein Stück vom Geländer.
Zu ihrer Linken befand sich eine geschlossene Tür, vor der sie sich routiniert positionierten. Ethans Herz raste, sein eigener hämmernder Puls machte ihn nervös. Er gab Donovan ein Zeichen und trat die Tür auf. Dahinter verbarg sich ein kleiner Flur, an dessen Ende eine weitere Tür lag. Der Todesgeruch war hier um einiges stärker und Ethan bildete sich ein, das Summen und Scharren winziger Insekten hören zu können. Er schritt weiter und Donovan folgte ihm angewidert. Schweigend wiederholten sie das Ritual an der nächsten Tür, aber diesmal bereute Ethan sofort, sie geöffnet zu haben.
Der Raum dahinter war zweifelsfrei die Küche. Schmutziges Geschirr stapelte sich in und neben der Spüle, der billige Tisch war von klebrigen Flecken bedeckt. Dutzende Fliegen vernebelten die Luft und auf dem Boden lag der Hausherr, oder das, was von ihm übrig war: Ein schwarzer, von Fäulnisblasen übersäter Körper, die Zunge grotesk geschwollen, die Lippen und Augen von Maden zerfressen und die blanken Zähne ein breites Grinsen parodierend. Rusty Hilbredges schmuddeliges Shirt war ein Stück nach oben gerutscht und entblößte seinen aufgeblähten Leib.
»Das ist nicht unser Mann«, stellte Ethan fest. »Der ist seit mindestens einer Woche tot.«
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Ethan lag auf dem Rücken und betrachtete die Schatten, die sich an der Decke zu immer neuen Formen zusammenzusetzen schienen. Er war todmüde und konnte trotzdem nicht einschlafen. Der Fall beschäftigte ihn und er konnte nahe zu spüren, wie ihm die Zeit davon rannte. Auch wenn Ava Drapers Bekanntenkreis nicht sonderlich groß gewesen war, hatte die Befragung einige kostbare Stunden in Anspruch genommen. Offenbar hatten Ava und Rusty hauptsächlich gemeinsame Freunde gehabt, sodass es immer gleich zwei schlechte Nachrichten zu überbringen gab. Ein anstrengender Tag, vor allem, wenn man daran dachte, dass der Serienmörder, den sie jagten, immer noch auf freiem Fuß war. Womöglich suchte er sich gerade sein nächstes Opfer aus. Vielleicht kam er nach dem Töten nach Hause und gab seinen Kindern noch schnell einen Gute-Nacht-Kuss. Vielleicht lag er auch wach, genau wie Ethan und wartete sehnsüchtig auf die Zeitung von morgen, in der die Presse ihm die Aufmerksamkeit zukommen lassen würde, nach der es jeden Serienmörder dürstete.
Die Vorstellung machte Ethan krank. So krank wie die Erinnerung an die Überreste von Rusty Hilbredge und das wächserne Gesicht von Ava Draper. Ihre entsetzten Augen. Vor Jahren, als er noch Streifenpolizist gewesen war, hatten sie eine Wohnung öffnen müssen, in der eine ältere Frau seit mehr als vier Wochen tot lag. Die Nachbarn verständigten die Polizei erst, als der Geruch unerträglich wurde. Es war nicht die beste Gegend gewesen. Wahrscheinlich konnte man die Gleichgültigkeit der Nachbarn damit erklären.
Ethan konnte die Bilder bis heute nicht vergessen. Den Körper, der keiner mehr war. Das Gesicht, ähnlich entstellt wie das von Hilbredge, und den Telefonhörer in der zerfallenden Hand. Er hatte sich in den Hausflur übergeben müssen. Dreimal. Manchmal fragte er sich, ob es Cops gab, die diesen ganzen Mist abends einfach hinter sich lassen konnten.
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Am darauf folgenden Tag, einem Samstag, fanden sich Ethan, Donovan sowie Mason und Dewey um acht Uhr im Besprechungszimmer des Virginia Beach Police Department ein. Sie alle waren Mitglieder der Mordkommission oder, wie es Donovan scherzhaft nannte, der richtigen Polizei . Sie beschäftigten sich mit allen Todesfällen innerhalb des Stadtgebietes, bei denen Mord oder Totschlag nicht eindeutig ausgeschlossen werden konnten. Am Ende klärte sich die Angelegenheit allerdings meistens schnell und unspektakulär: Herzanfall, Suizid, Unfall mit Fahrerflucht. Es blieben im Schnitt vier oder fünf Morde pro Jahr, was verdammt wenig war für eine amerikanische Großstadt. Ethan hatte schon andere Verhältnisse erlebt. Er war in Detroit, Michigan geboren, aufgewachsen und hatte dort auch die ersten Jahre seiner Karriere verbracht. Detroit war die Stadt mit der höchsten Kriminalitätsrate in den USA. Ein Überfall reihte sich an den nächsten
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