Abgründe (German Edition)
Autodiebstahl.
Ethan hatte sich gleich nach dem College bei der Polizei beworben, als gewöhnlicher Streifenpolizist angefangen und den Streifendienst ein paar Jahre lang genossen. Am besten fand er, immer gleich an Ort und Stelle zu sein. Immer dort, wo die Action war. Doch irgendwann reizten ihn die größeren Themen: Mord oder Totschlag. Er wollte die richtig bösen Jungs schnappen und sich nicht weiter mit Kleinganoven und Temposündern abgeben. Im Alter von sechsundzwanzig ließ er sich zum Detective ausbilden.
Damals hatte er erwartet, dass es weiterhin gut laufen würde, dass er weiterhin einer der Besten sein würde, aber er wurde schnell eines Besseren belehrt. Die Arbeit als Detective verlangte ihm einiges ab, doch er verschwendete niemals auch nur einen Gedanken ans Aufgeben.
Vor etwa zehn Jahren war er nach Virginia Beach gekommen. Es war hier nicht so hart wie in Detroit, was Ethan die Möglichkeit gab, gründlicher zu arbeiten und ihn am Abend befriedigter nach Hause gehen ließ. Sein Team hatte eine wirklich vorzeigbare Aufklärungsquote. Bisher.
Ethan sah auf, als Gladys den Raum betrat. Ihre sommerliche Kleidung brachte zwar etwas Farbe in das fensterlose Zimmer, über ihre Müdigkeit konnten das helle Kostüm und das geblümte T-Shirt jedoch nicht hinwegtäuschen.
»Also«, begann sie ohne Umschweife und nahm auf einem der freien Stühle Platz. »Ich fasse kurz die Fakten zusammen: Wir haben drei Opfer, alle weiblich. Der Täter hat sie gefoltert und schließlich getötet, indem er ihnen Kehlkopf und Halsschlagader glatt durchtrennte. Allen wurde post mortem ein ‚A’ in die Stirn geritzt. Äußerlich gibt es keine Gemeinsamkeiten. Ethan?«
Ethan nickte, erhob sich von seinem Platz und trat an die Pinnwand, woran Bilder der drei Frauen geheftet waren, vor und nach ihrem Zusammentreffen mit der Resort City-Bestie.
»Das erste Opfer, Grace Mitch, vierunddreißig, war Friseurin und wurde am zwölften Juni vermutlich aus der Tiefgarage ihrer Arbeitsstelle in Reedtown gekidnappt. Sie wurde erst am Mittag des fünfzehnten Juni in einem Bus von Casinos Unlimited gefunden.
Das zweite Opfer war Tiffany Jaiden, fünfundsechzig. Sie saß im Rollstuhl und wurde am Abend des dritten Juli aus ihrem Haus in Acredale entführt. Es gab keine Einbruchsspuren. Entweder muss sie den Täter rein gelassen haben oder er hatte einen Zweitschlüssel. Wir haben ihren Bekanntenkreis überprüft, es gibt keine Verdächtigen. Ein Friedhofsbesucher fand Jaiden am frühen Abend nach ihrer Entführung vor dem Grab ihres Mannes, an ihren Händen Spuren von Arsen.
Unser letztes Opfer ist Ava Draper. Einunddreißig Jahre alt, gefunden an der Strandpromenade, nur ungefähr neun Stunden nach ihrem Verschwinden.«
Ethan nickte Gladys zu. Sie nahm einen Schluck von dem Kaffee, den Donovan zu ihr herüber geschoben hatte, erhob sich und übernahm erneut.
»Der Gerichtsmediziner hat etliche Spuren von Gewalteinwirkung an ihrem Körper gefunden, genau wie bei den beiden anderen Frauen. Quetschungen, Prellungen, oberflächliche und tiefe Schnitte. Keine Fingerabdrücke, Haare, Sperma- oder Speichelspuren.«
»Was für eine Überraschung!«, kommentierte Mason. Dem untersetzten Detective war die Enttäuschung deutlich anzusehen. Unvorsichtig wurden Kriminelle erst, wenn es eng für sie wurde, aber die Resort City-Bestie fühlte sich vermutlich so frei wie ein Fisch im Wasser.
»Ich habe das ursprüngliche Täterprofil erweitert, bin jedoch immer noch der Meinung, dass wir es mit einem organisierten Serienmörder zu tun haben. Die Merkmale hierfür sind eindeutig: Es gibt niemals brauchbare Spuren, er geht also planvoll vor, überstürzt nichts und scheint intelligent zu sein. Ich gehe davon aus, dass er sozial angepasst lebt, möglicherweise Frau und Kinder hat, was ihn dazu zwingt, sich seine Opfer nachts zu suchen.
Da sich höchstwahrscheinlich mindestens zwei der drei Opfer freiwillig auf unseren Täter eingelassen haben, ist davon auszugehen, dass er nicht nur äußerlich einen sehr gepflegten und attraktiven Eindruck macht, sondern dass er aufgeschlossen, freundlich und hilfsbereit auf andere Menschen wirkt.
Der Stil der Verbrechen ist eindeutig: Der Leichenfundort ist niemals auch der Tötungsort. Unser Täter tötet aggressiv, quält seine Opfer lange und gerne, nimmt allerdings keine sexuellen Handlungen an ihnen vor.
Nach der Tat scheint er zwiegespalten darüber zu denken. Einerseits verbirgt er die Wunden der
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