Abgründe (German Edition)
Opfer unter frischer Kleidung, säubert sie und näht die tödliche Verletzung sogar zu, andererseits markiert er sie mit seinem Zeichen, einem A. Was dies bedeutet, vermag ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht zu sagen, aber das nur am Rande. Das Arrangieren der Leichen könnte bedeuten, dass der Mörder seine Tat bereut und sie deshalb der Gesellschaft zurück gibt.« Sie warf einen kurzen Blick in die Runde. »Des Weiteren fällt natürlich auf, dass sich unser Täter ausnahmslos weibliche Opfer sucht. Das könnte auf ein Problem mit Frauen im Allgemeinen hindeuten. Vielleicht wurde seine Liebe nicht erwidert, vielleicht wurde er verlassen, vielleicht ist er aber auch einfach nicht fähig zu lieben.
Die zweite Möglichkeit wäre, dass unser Täter homosexuell ist und dafür in seiner Jugend bestraft wurde oder noch heute von der Gesellschaft ausgeschlossen wird, sodass er seinen Hass auf Frauen projiziert.
Die dritte und für mich wahrscheinlichste Möglichkeit ist, dass das Töten auf ein Kindheitstrauma zurückführen ist. Auf eine strenge, dominante Mutter, Großmutter oder Ziehmutter. Er tötet Frauen jeder Altersgruppe, was auf eine lange Zeitspanne der Misshandlung hindeuten könnte.« Gladys sah ihre Kollegen wieder an, die sichtlich damit beschäftigt waren, die Fülle an Informationen zu verarbeiten.
Donovan hob zögernd die Hand. »Warum sucht er sich dann nicht zumindest Frauen aus, die vom Typ her gleich sind? Ich meine… seine Mutter wird doch bestimmte Merkmale gehabt haben. Eine besondere Haarfarbe, Figur und Statur. Würde er sich keine Opfer suchen, die ihr ähnlich sind?«
»Nicht unbedingt. Erstens…«
»Vielleicht hat sie Perücken getragen. War krebskrank oder sogar käuflich. Ihr wisst schon, ein leichtes Mädchen«, unterbrach sie Mason breit grinsend.
Ethan warf ihm einen finsteren Blick zu, doch Gladys fuhr unbeeindruckt fort.
» Erstens pauschalisieren Serienmörder gerne. Zweitens glaube ich, dass unsere Resort City-Bestie keine wirkliche Bindung zu seiner Mutter hatte. Sie war ihm fremd, unheimlich, hat möglicherweise das Verhalten einer multiplen Persönlichkeit an den Tag gelegt.
Möglicherweise war sie mal liebende Mutter, was den Tod von Tiffany Jaiden – äußerlich der Inbegriff von Fürsorge und Liebe – erklären würde. Manchmal war seine Mutter aber auch verletzlich, verunsichert und hat sich unter Druck setzen lassen, so wie Ava Draper. Und dann gab es wohl auch Momente, in denen unser Mörder absoluter Brutalität ausgesetzt war. Ihr kennt ja die Vorgeschichte von Grace Mitch. Ehemaliges Mitglied einer Mädchengang, vorbestraft wegen Körperverletzung und räuberischer Erpressung. Sie war eine Frau, die Aggressivität ausstrahlte. Ihr versteht, was ich meine?«
Ethan atmete durch und fuhr sich mit einer Hand durchs Gesicht, dann stieß er sich von der Wand ab und betrachtete seine Leute. Was Gladys sagte klang logisch. Sie würden dieser Theorie auf jeden Fall nachgehen müssen. »Also gut. Dewey und Mason, ihr überprüft Fälle von Misshandlung im Elternhaus hier in der Gegend. Wir suchen ein männliches Opfer häuslicher Gewalt. Wie alt?«
Gladys zuckte die Achseln und eine Spur von Resignation mischte sich in ihre Stimme: »So zwischen sechzehn und sechzig?«
»Na toll. Das wird eine anstrengende Suche.« Ethan wandte sich an seinen Partner. »Donovan, wir zwei sprechen noch mal mit der Spurensicherung und der Gerichtsmedizin wegen Drapers Wagen. Was mir außerdem nicht aus dem Kopf geht, ist die Sache mit dem Arsen an Jaidens Händen. Gladys, könntest du herausfinden, wer alles Zugriff auf das Zeug hat?«
»Das habe ich bereits erledigt. Auf legalem Wege haben alle Mitarbeiter der Schädlingsbekämpfung und Arzneimittelherstellung Zugriff darauf. Durch illegale Beschaffung über das Internet könnte jedoch jeder an das Gift kommen.«
Ethan seufzte. »Es wäre auch zu einfach gewesen.«
Gladys wandte sich zur Tür, drehte sich dann, die Hand an der Klinke, noch mal zu ihren Kollegen um. »Fast hätte ich es vergessen. Ich habe die Laborberichte abgeholt: Rusty Hilbredge starb an multiplem Organversagen, ausgelöst durch jahrelangen Alkoholmissbrauch.«
Donovan machte ein überraschtes Geräusch. »Der Kerl war gerade mal Mitte dreißig !«
»Überrascht dich das?«
»Ein wenig.«
»Bitte«, Gladys lachte. »Wir leben im Einundzwanzigsten Jahrhundert!«
-10-
Am Samstagabend traf sich Ethan wie so oft mit Donovan und Gladys in einer der vielen,
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