Abgründe (German Edition)
Scharfschützengewehr. Unschuldige Frau tot, Hayes am Ende seiner Kräfte.
Es hätte so schön sein können, aber dieses Miststück hatte ja zögern müssen.
Ames ließ sich aufs Sofa fallen und schaltete den Fernseher ein. Die Bestie auf allen Kanälen. Er verbreitete Schrecken und säte Misstrauen wie die Pest im Mittelalter mit einem Hauch Gestapo. Er musste grinsen, doch es kam ihm wie eine Grimasse vor. Ethan Hayes hatte ihn gestern Abend besiegt. Hatte die erste Schlacht in diesem Krieg gewonnen. Nicht einmal die Loblieder, die ihm die Nachrichtensprecher in ihrem monotonen Singsang widmeten, konnten ihn jetzt beruhigen.
Es wird Zeit , dachte er und nahm einen Schluck von der süßen Limonade. Es wurde wirklich Zeit, die Sache zu beenden. Auch wenn dieses dumme, blonde Miststück noch lebte, waren seine Argumente stark. Stark genug, um einen Mann wie Hayes kaputt zu machen. Um einen anderen Mann aus ihm zu machen.
Ames schloss die Augen und gestattete sich, einige Minuten vor sich hin zu träumen. Seine neuesten Erlebnisse Revue passieren zu lassen und Kräfte zu sammeln für den letzten Schachzug.
Es war so verdammt still und friedlich in diesem Wald, dass Ames sich wünschte, es würde Nacht werden und all die Bäume und Büsche würden zu undurchschaubaren, mysteriösen Schatten, die sich seiner düsteren Gedankenwelt anpassten. Aber jetzt im Moment war es noch helllichter Tag, genau genommen später Nachmittag und die Sonne glitzerte durch die Lücken im dichten Blätterdach.
Ames atmete tief durch, bevor er die Tür hinter sich zuschlug und ums Auto ging. Er hatte den Wagen gestohlen und würde ihn nicht mehr lange nutzen können, denn sicher war er schon als vermisst gemeldet worden. Vielleicht würde er ihn später in der Nacht anzünden oder in diesem See hier versenken. Ames wünschte sich, nie wieder in den Käfig gesellschaftlicher Konventionen zurückkehren zu müssen. Er seufzte bedauernd, dann öffnete er den Kofferraum und was er sah, ließ sein Herz für einen Moment schneller schlagen.
Seine unvorsichtige Fahrweise hatte Jillian eine kleine Platzwunde am Kopf zugefügt, so dass ihr hübsches Gesicht von dünnen Blutfäden überzogen war. Auch in ihrem Haar klebte frisches Blut und bildete einen interessanten Kontrast zu dem künstlichen Blond. An dem Wagenheber, der lose im Kofferraum lag, hatte sie sich das linke Bein aufgeschlagen, weshalb auch ihr Körper voller Blutspritzer war. Trotz der Wunde am Kopf war sie bei Bewusstsein und starrte ihn ängstlich aus großen, trüben Augen an.
Ames war begeistert. Er lächelte breit und griff nach einer Strähne blutig blonden Haares. Jillian zuckte bei jeder seiner Bewegungen verängstigt zusammen. Sie war das perfekte Opfer, die perfekte Freundin für ihn. Es war zu schade, dass er sie aufgeben musste, nur weil die Bullen nicht anständig genug waren, ihn mit fairen Mitteln zu jagen.
»Hab' keine Angst«, bat er Jillian, aber es klang in seinen eigenen Ohren nicht glaubhaft. Er hatte ihren Mund zugeklebt und ihr die Arme mit dem gleichen Klebeband auf den Rücken gefesselt. Auch ihre dünnen Beine hatte er damit zusammengebunden.
Wenn er sich vorstellte, dass er in ihrer Lage wäre. Wehrlos einer Bestie gegenüberstehend... Er stöhnte unwillig und presste eine Hand an seine linke Schläfe, als ihm für einen Moment schwindelig wurde. Er war nicht in ihrer Situation, das durfte er nicht durcheinander bringen.
Sie betrachtete ihn immer noch verängstigt, aber ein fragender Ausdruck hatte sich zu der Panik in ihren Blick geschlichen.
»Du musst etwas für mich tun, Jillian«, fuhr er fort. »Etwas Wichtiges. Einen kleinen Kurierdienst.«
Er ließ den Kofferraum offen stehen und ging erneut ums Auto, diesmal zur Beifahrerseite, um die Tür zu öffnen und seine schwarze Tasche herauszunehmen. Er trauerte immer noch seiner Ausrüstung hinterher, die ihm in der Geisterstadt gestohlen worden war. Nicht, weil die Werkzeuge so speziell gewesen wären, sondern rein wegen ihres ideellen Wertes.
Er öffnete die Tasche und suchte in einem der Seitenfächer nach dem kleinen, braunen Glasfläschchen, welches den Rest seines LSD enthielt. Als er es gegen die Sonne hielt, erkannte er, dass nicht mehr allzu viel übrig war. Er war nicht sehr geschickt vorgegangen bei der Herstellung der präparierten Visitenkarte. Aber das was noch da war, würde definitiv reichen, um Jillian ein wenig zu benebeln und ihre Erinnerungen an ihn undeutlicher zu machen.
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