Abgründe - Wenn aus Menschen Mörder werden - Der legendäre Mordermittler deckt auf
halten. Das war das Mindeste. Die junge Frau musste nun drei kleine Kinder alleine großziehen. Einerseits natürlich eine ungeheure Last, andererseits aber auch eine Aufgabe, die ihr wahrscheinlich die Kraft geben würde, all das durchzustehen, was auf sie zukommen sollte. Und das Schlimmste stand ihr noch bevor. Aber davon ahnten sie und wir noch nichts.
Meine vier Kollegen und ich versuchten natürlich mit aller Kraft, eine rasche Klärung herbeizuführen. Dabei waren die vielen Spuren und Ermittlungsrichtungen parallel zueinander zu bearbeiten. »Verzahnt arbeiten« nannten wir das. Und weil man immer von innen nach außen ermittelt, beginnt man mit dem, was man schon hat. Und erst ganz zum Schluss sollte man die gefürchteten Rundumschläge machen, wie zum Beispiel Razzien, Massenüberprüfungen oder Reihenuntersuchungen. Aber meistens geht es eben nicht so schön der Reihe nach, sondern in der Realität laufen die Dinge parallel. Das lag und liegt an den vielen Hinweisen, die gewöhnlich eingehen, wenn erst einmal die Öffentlichkeit Anteil nimmt. So erhielten wir zahlreiche Hinweise auf Bewohner von Männerwohnheimen und Asylbewerberunterkünften, die rund
um den Tatort angesiedelt waren. Weit über 700 Personen überprüften wir in den folgenden Monaten bei zahlreichen Razzien. Das Problem bestand darin, dass wir keine Spuren hatten, anhand derer wir Verdächtige hätten rasch ausschließen oder überführen können. Also mussten wir bei jedem Einzelnen das volle Programm fahren. Das bedeutete, die Durchführung der guten alten Alibiüberprüfungen, intensive Vernehmungen, Persönlichkeitsprofile, Umfeldermittlungen, Vergangenheit, Vorstrafen usw.
Wir fanden keine einzige Person, die unserem Täterprofil entsprach oder gegen die sich ein Tatverdacht herauskristallisiert hätte.
An eine Täterin dachten wir keine Sekunde, weil Frauen so etwas nicht machen. Und eine Frau hätte wohl kaum mit solcher Körperkraft zustechen können. Ja, ich weiß, dass es immer Ausnahmen gibt. Aber für eine solche lagen keine Hinweise vor. Wesentlich naheliegender war, dass es sich beim Täter um einen jener Jugendlichen oder Heranwachsenden handeln könnte, für die solche scheinbar unmotivierten Angriffe geradezu typisch sind. Jedenfalls lehrt das die Erfahrung. Dafür sprach auch der Umstand, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Butterfly-Messer verwendet worden war. Eine Waffe also, wie sie für Jugendliche typisch ist. Was die Örtlichkeit betraf, so gingen wir davon aus, dass der oder die Täter nicht ganz fremd in dieser Gegend waren und einen Bezug dorthin haben dürften. Zuletzt das Mordmerkmal der Mordlust. Da es eine vergleichbare Tat in dieser Gegend sowie im Ostpark noch nie gegeben hatte, lag es nahe, dass da möglicherweise bei jemandem, der im Umgang mit einem Messer geübt war und der es möglicherweise
auch schon eingesetzt hatte, eine Sicherung durchgebrannt sein könnte. Und da solche Typen diese Waffen ständig mit sich herumtragen und damit angeben, hatten wir schon einen weiteren Punkt für unser Täterprofil, nämlich »messerführend«. Somit hatten wir vier Merkmale: 1. Bezug zum Tatort; 2. eventuell Drogenkonsument; 3. messerführend und 4. gewalttätig.
Ermittelt wurden auch die beiden tapferen Herren, die in der Tatnacht in einer nahen Gaststätte ein Klassentreffen gefeiert hatten und kurz vor 23.30 Uhr nach Hause gingen. Und zwar durch die Fußgängerunterführung, in der Dr. Manfred W. sein Leben aushauchte, wobei die Männer von der anderen, also der nördlichen Seite kamen und direkt unterhalb der Treppe auf den am Boden liegenden Mann stießen. Es waren zwei Gymnasiallehrer. Sie hatten den Mann bemerkt, waren aber vorbeigegangen. Allerdings waren sie absolut sicher, dass er sich noch bewegt hatte. Deshalb hätten sie ja auch an einen Betrunkenen geglaubt oder einen Obdachlosen, die doch bei Regenwetter gerne in derartigen Unterführungen nächtigen würden. Sie seien weitergegangen, weil ihre U-Bahn um 23.36 Uhr gefahren und es schon kurz nach 23.30 Uhr gewesen sei, als sie an dem Mann vorbeikamen. Blut hätten sie jedenfalls nicht bemerkt, obwohl sie sich noch kurz über den Mann gebeugt hätten. Also seien sie schnellen Schrittes zur 200 Meter entfernten U-Bahn-Station gelaufen, wo sie ihre Streifenkarten abgestempelt und dann gerade noch den Zug in die Innenstadt erreicht hätten. Definitiv könnten sie sagen, dass keine Tasche oder Ähnliches neben dem Mann gelegen
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