Abgründe - Wenn aus Menschen Mörder werden - Der legendäre Mordermittler deckt auf
geschützt vor Wind und Wetter.
Einer der Ermittler hatte den Auftrag, Franz W. zu suchen. Aber er konnte ihn nicht finden. Seit dem Vorfall war er nicht mehr gesehen worden. Weder im Ostpark noch im Tonnenhäuschen. Er war wie vom Erdboden verschluckt. Die Kollegen der zivilen Einsatzgruppe bei der zuständigen Polizeiinspektion hielten tage- und nächtelang Ausschau nach ihm. Ohne Ergebnis. Die Überprüfung der Obdachlosenheime war ebenfalls negativ. Offensichtlich hatte Franz W. sein Revier gewechselt. War es ihm vielleicht zu gefährlich geworden in seiner Gegend?
Es musste einen gravierenden Grund geben, warum Franz W. ausgerechnet seit dem Mord an Dr. W. untergetaucht
war. Denn das eigene Revier ist das Einzige und Kostbarste, was diesen Menschen geblieben ist. Also war er entweder doch der Täter oder sein Verschwinden hing sonst irgendwie mit diesem Verbrechen zusammen. Hoffentlich lebte er noch, überlegten wir uns. Es ist schließlich keine Seltenheit, dass ein Obdachloser nicht mehr aufwacht, weil er vor lauter Rausch nicht mehr registriert hat, wie kalt die Nacht ist.
Eine Chance hatten wir noch, ihn zu finden. Er würde mit Sicherheit die Sozialhilfe abholen, die ihm an jedem Monatsersten ausbezahlt wurde. Also rief ein Kollege beim Sozialamt an, um zu erfahren, wann und wo Franz W. seine Sozialhilfe abholen würde. Er bekam keine Auskunft. Datenschutz, hieß es. Nicht einmal wenn wir einen Haftbefehl gegen ihn gehabt hätten, hätten wir eine Auskunft bekommen.
Da uns also das Sozialamt nicht sagen wollte, wann und wo Franz W., den wir übrigens als Zeugen suchten, sein Geld ausbezahlt bekam, mussten wir uns eben selbst helfen, auch wenn es mit entsprechend großem Zeit- und Personalaufwand verbunden war. Also postierten wir vor allen Auszahlungsstellen in München an mehreren Tagen einen Beamten. Lichtbilder von Franz W. hatten wir ja, da er schon erkennungsdienstlich behandelt worden war. Tatsächlich tauchte er pünktlich am Monatsersten um 8.00 Uhr am Sozialamt in der Franziskanerstraße auf, und damit hatten wir ihn. Er durfte zuerst sein Geld abholen und kam dann freiwillig mit zur Dienststelle.
Wir hatten Glück. Da es noch früh am Tag war, war Franz W. sogar relativ nüchtern. Er hatte alle seine Habseligkeiten in einem großen Rucksack und in mehreren Plastiktüten verpackt, darunter auch einen weißen Frottee-Bademantel
von guter Qualität sowie eine kleine blaue Sporttasche. Es war eine Sache von einer Stunde und wir wussten, dass es die Tasche von Dr. W. und auch dessen Bademantel war. War der Fall gelöst?
Franz W. war also im Besitz des Raubgutes und musste deshalb zum Beschuldigten gemacht werden, obwohl er alles andere als ein Gewalttäter war. Aber angesichts der Tatsache, dass er in der Nähe des Tatortes angetroffen wurde und das Raubgut besaß, hätten wir Probleme mit der Staatsanwaltschaft bekommen, falls wir ihn weiterhin als Zeugen behandelt hätten. Franz W. war nur knapp 1,60 Meter groß und schmächtig, was natürlich gar nichts darüber aussagt, ob jemand zu solch einem Verbrechen fähig ist. Im Gegenteil: Niemand trägt das Kainsmal auf der Stirn, und ich habe mehr Nickelbrillen tragende, unschuldig und harmlos wirkende Mörder gesehen als große, kräftige, brutal aussehende Monstertypen. Aber bei Franz W. lag es nicht nur am Aussehen, warum man sich nicht vorstellen konnte, dass er zu einem so brutalen Verbrechen in der Lage wäre. Er war auch charakterlich und seelisch eher ein »Weichei«. Bereitwillig gab er uns Auskunft, und man spürte förmlich, dass er noch nicht einmal in der Lage war, zu lügen. Bisher hatte er jedenfalls alle Diebstähle, die er begangen hatte, unumwunden zugegeben. Auch die, die man ihm nicht hätte nachweisen können. Das ergab sich zumindest aus den Akten. Und genauso verhielt er sich jetzt. Es machte ihm nichts aus, dass er Beschuldigter war, obwohl er natürlich genau wusste, was das bedeutete. Schließlich war er nicht dumm. Dass er als Beschuldigter das Recht zu
schweigen und das Recht auf einen Anwalt hatte, interessierte ihn nicht. Er verzichtete auf beides und gab unumwunden zu, die Tasche gestohlen zu haben. Er hatte sie schon, als er von den beiden Polizisten kontrolliert wurde. Er schlief darauf und hatte sogar ein schlechtes Gewissen, weil er einem »Kollegen« etwas geklaut hatte. Die Tasche lag nämlich neben dem Besoffenen, auf den er in der Unterführung getroffen war. Er hat sie sich im Vorbeigehen geschnappt
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