Abgründe - Wenn aus Menschen Mörder werden - Der legendäre Mordermittler deckt auf
Rechts- und Linkshänder, schreiben würde er mit der linken Hand. Körperlich sei er gesund, sehe man von seinen Konzentrationsstörungen ab.
Auf die Frage, warum er ausgerechnet noch nie im Olympiagelände auf Wohnungssuche gewesen sei, wo doch dort die Angebote für Studenten am ehesten zu bekommen wären, meinte er, das studentische Leben sei nichts für ihn. Er wolle lieber außerhalb leben und deshalb habe er gerade das Olympiagelände gemieden.
Dass er seit eineinhalb Jahren in München lebe und
ausgerechnet noch nie im Olympiagelände gewesen sein will, konnte ich nicht glauben. Er klammerte den Tatort aus, war ich überzeugt. Was Täter oft tun, wenn sie nicht erklären können, was sie dort genau zu verrichten hatten.
Die Vernehmung war beendet. Sie war nicht sehr ergiebig gewesen. Nichts, womit man ihn hätte festnageln können. Alles wachsweich, aber nicht widerlegbar.
Alexander W. zog sich seine beige Jacke an, verabschiedete sich und wollte gerade mein Büro verlassen, als ich einen kleinen dunklen Fleck direkt an der rechten Seitentasche entdeckte. »Moment mal!«, rief ich und stand auf. »Was ist das denn?«, sagte ich und schaute mir die stecknadelgroße Verfärbung genau an. »Ist das Blut?«, fragte ich mich mehr selbst halblaut. Die Antwort gab Alexander W. Ganz schnell, beflissen und verneinend.
»Ach was«, meinte er, »das ist Kakao.«
»Ich dachte, du trinkst nur Wasser. Jedenfalls habe ich in deinem Zimmer keinen Kakao gesehen«, sagte ich bestimmt.
»Hin und wieder habe ich schon welchen getrunken«, antwortete er und wirkte verlegen.
»Ausziehen!«, befahl ich. Sofort und ohne Wiederrede zog er die Jacke aus. »Bist du mit der Sicherstellung einverstanden?«, fragte ich und hatte die Jacke schon an mich genommen.
»Ja, natürlich. Wenn Sie es für nötig halten«, antwortete er und verließ nun hemdsärmelig das Büro. Es war Januar und draußen herrschten Minusgrade. Aber die ihm angebotene Strickjacke lehnte er ab und verschwand.
Alexander W. hatte uns eine Reihe von Namen der Ärztinnen und Ärzte aufgeschrieben, die er zuletzt aufgesucht hatte und die er allesamt von ihrer ärztlichen
Schweigepflicht entband. Darunter auch die Psychiaterin, deren Sprechstundenhelferin uns den Tipp gegeben hatte. So konnte ich die Praxis aufsuchen, ohne dass dadurch ein Verdacht gegen ihre Mitarbeiterin aufkam. Die Psychiaterin, die selbst einen psychisch auffälligen Eindruck machte, sperrte sich und wollte mir nicht behilflich sein. Erst nach längerem Zögern teilte sie mir mit, dass sie noch nie Angst vor einem Patienten gehabt habe, außer vor diesem Alexander W. Er sei insgesamt drei Mal in ihre Praxis gekommen, wegen seiner Konzentrationsschwierigkeiten, Angstzuständen und sexuellen Fantasien, die er nicht abzustellen vermochte. Als er Anfang Oktober zum letzten Mal erschienen war, wollte er nur noch Psychopharmaka verschrieben haben, und zwar Lexotanil. Nach ihrer Meinung sei er bereits abhängig davon. Als sie sich weigerte, ihm für dieses Medikament ein Rezept auszustellen, reagierte er aggressiv, beschimpfte sie und rannte davon. Sie würde ihn nicht mehr behandeln. Möglicherweise passe die Tat, wegen der wir ermittelten, sehr gut zu seinem Krankheitsbild. Mehr konnte und wollte sie nicht sagen.
Ich klapperte in den folgenden Tagen noch einige andere Psychiater ab, und alle Aussagen deckten sich im Wesentlichen. Ein misstrauischer Patient, der anscheinend selbst zu wissen glaubte, unter welcher Krankheit er litt und was ihm fehlte: nämlich Lexotanil. Das Bild eines psychisch Kranken also, der wie ein einsamer Wolf durch diese Stadt streifte und in dessen Kopf Dinge vor sich gingen, die ihn von einer Sekunde zur anderen zur Gefahr werden lassen konnten. Ein unberechenbarer Mensch, dessen Gefährlichkeit darin bestand, dass man ihm diese nicht anmerkte.
Manchmal glaubt man der Lösung näher zu sein, als man es tatsächlich ist - wie wir schon bald erfahren sollten. Doch zunächst wurde uns ein Volltreffer gemeldet. Das Laborergebnis war da. Bei dem winzigen Tröpfchen an seiner Jacke handelte es sich tatsächlich um menschliches Blut. Aber nicht nur das. Es war die seltenste Blutgruppe, die es gibt, nämlich AB Rhesus negativ. Genau die, wie sie auch unser Opfer Christine S. hatte. Und zwar war das Blut bis in die noch feststellbaren Untergruppen mit dem Opferblut identisch. Das konnte kein Zufall mehr sein. Unser Staatsanwalt war derselben Meinung. Um keine rechtlichen Fehler
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