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Abgrund der Lust

Abgrund der Lust

Titel: Abgrund der Lust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Schone
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dass Prostitution mehr einbringt als eine Gouvernantenstellung?«, fragte Gabriel beiläufig.
    Victoria schaute auf.
    Der Blick seiner silbernen Augen hatte nichts Beiläufiges.
    Ja, lag ihr auf der Zunge.
    »Ich wurde entlassen«, kam es ihr stattdessen über die Lippen.
    Dass man Victoria ohne Zeugnis entlassen hatte, brauchte sie nicht zu erklären. Das Wissen lag in seinen Augen. Die Gesellschaftvertraute ihre Kinder nicht Gouvernanten an, die ohne Zeugnis entlassen wurden. Und für niedere Arbeiten stellte man keine unerfahrenen Gouvernanten ein, denn Arbeiter kamen scharenweise vom Land nach London. Es gab viele Frauen in Victorias Lage. Das machte es jedoch nicht einfacher, ihr Los zu ertragen.
    »Die Hure, die Sie hergeschickt hat« – Schatten lauerten in seinen Augen, Erinnerungen vielleicht an seine eigene Vergangenheit – »Sie glauben, Sie sei Ihre Freundin.«
    Victoria zögerte nicht. »Ja.«
    »Sie würden sie vor mir schützen.«
    Dolly hatte einen Mann gehindert, sie zu vergewaltigen, als sonst niemand auch nur einen Finger gerührt hatte. Sie hatte mit Victoria gesprochen. Sich ihr anvertraut. Ihr zur Seite gestanden, als Victoria Rat brauchte. Sie war ihr eine Freundin, als Victoria verzweifelt Freundschaft gebraucht hatte.
    »Ja.« Victoria straffte die Schultern. »Ja, ich würde sie beschützen, wenn es in meiner Macht stünde.«
    Ohne Vorwarnung glitt der lange weiße Finger, der beiläufig in der blauen Lederfalte gestochert hatte, über die gepolsterte Armlehne und hakte sich in die Wollschlaufen ihrer Tasche. Einen Augenblick lang starrte Victoria auf die makellos schöne Hand und das plumpe, reizlose Täschchen, das er vom Sessel pflückte. Erst jetzt wurde ihr sein Tun in vollem Umfang bewusst. Er hatte ihre Tasche.
    Alles, was Victoria besaß, war in diesem Täschchen. Er hatte kein Recht dazu. Sie stürzte vor, um ihr Eigentum zurück zu fordern. Ihr Leben. Ihre Würde.
    Er griff in den Wollbeutel und zog ein kleines Stück fest gefalteten braunen Papiers heraus. »Was ist das?«
    Victoria stockte und dachte an die Waffe in seinem Frack. »Das ist ein … Mittel, um eine Empfängnis zu verhindern. Bitte geben Sie mir meine Tasche.«
    Er ließ die Tasche nicht los. »Ihre Freundin … hat sie Ihnen dieses Mittel gegeben?«
    Es gab Männer, die hielten es für ihr Recht, Frauen zu schwängern, nur weil sie Männer waren.
    »Ja, meine Freundin hat es mir gegeben.« Sie streckte gebieterisch die Hand aus. »Bitte geben Sie mir jetzt meine Tasche wieder.«
    Er streifte sich die doppelte Wollschnur über das Handgelenk und faltete das Papier auseinander; das Täschchen baumelte, Papier knisterte, dunkle Wimpern beschatteten seine Wangen. Zwei weiße Pillen rollten in seine rechte Hand.
    Langsam schlug er die dunklen Wimpern hoch. »Hat Ihre Freundin Ihnen gesagt, was das ist?«
    Victorias Schweigen sagte mehr als Worte.
    »Das ist Quecksilbersublimat, Mademoiselle.« Sein Blick war unbarmherzig. »Hat Ihre Freundin Ihnen gesagt, wie Sie die Tabletten anwenden sollen?«
    »Sie scheinen über dieses Produkt gut informiert zu sein, Sir«, erwiderte Victoria, ließ die Hand sinken, ballte sie zur Faust und grub die Nägel in ihre Handfläche. »Wieso sagen Sie es mir nicht?«
    »Jede Tablette enthält ein halbes Gramm Quecksilbersublimat. Eine Tablette verursacht heftige Krämpfe, die häufig zum Tode führen. Zwei Tabletten in Ihre Scheide eingeführt würden Sie mit Sicherheit töten, Mademoiselle.«
    Victoria spürte, wie sie bleich wurde. Dolly hatte ihr gesagt, sie solle beide Tabletten in ihren Körper einführen, um eine Empfängnis zu verhüten. Sie hatte ihr nicht gesagt, was es war oder welche Wirkung es haben könnte. Sie hatte ihr nicht gesagt, dass es ihr schaden könnte … sie töten könnte.
    »Sie lügen«, sagte Victoria. Und glaubte selbst nicht daran.
    Der Mann mit den silbergrauen Augen und dem silberblonden Haar sagte nichts. Er brauchte nichts zu sagen. Er ließ die beiden Tabletten wieder in das braune Papier fallen und faltete es zusammen.
    »Sie sagte, dass viele Frauen die Tabletten benutzen«, erklärte Victoria.
    »Sicher. Aber Frauen, die sie ein Mal benutzen, tun es sicher kein zweites Mal. Und eine Frau, die ihre Anwendung überlebt hat, würde sie bestimmt nicht als Verhütungsmittel empfehlen.«

    Er kniff die Enden des Papiers zusammen. Langsam hob er die Lider und nagelte sie mit der Wahrheit fest. »War Ihre Freundin jung und unerfahren,

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