Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Abgrund der Lust

Abgrund der Lust

Titel: Abgrund der Lust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Schone
Vom Netzwerk:
wusste.«
    Gabriel zweifelte nicht im mindesten daran.
    »Körperliche Liebe war dein Vergnügen, Michael, nicht meins«, sagte er ausdruckslos.
    »Du lügst, Gabriel.«
    Gabriel erstarrte. Es war lange her, seit jemand ihm ins Gesicht gesagt hatte, er sei ein Lügner.
    »Ich rate dir, einen Mann nicht Lügner zu nennen, wenn er eine Schusswaffe und ein Messer bei sich hat«, sagte Gabriel leise, »und beides zu benutzen weiß.«
    In Michaels Augen lag keine Angst. »Dann sag mir, dass du nicht willst, Gabriel.«
    »Ich will das hier nicht, Michael.« Aus Gabriels Ton sprach die Wahrheit.
    »Sag mir, dass du dich nicht erinnerst, wie es ist, eine Frau zu schmecken. Das Fleisch einer Frau zu berühren«, sagte Michael unerbittlich. Immer noch ohne Angst. Aber er sollte Angst haben. »Sag mir, dass du dich nicht in der Lust einer Frau verlieren willst.«
    Der ferne Schlag von Big Ben drang durch Holz und Glas.
    Gabriel erinnerte sich … an die Männer, die er für Geld genommen hatte. An die Frauen, die er zum Ausgleich genommen hatte.
    »Sag mir, dass du keine Frau begehrst, Gabriel.« Gabriels Schmerz loderte in Michaels Augen. »Sag es, und überzeuge mich.«
    Gabriel konnte es nicht abstreiten. Aber er konnte es auch nicht zugeben.
    »Geh nach Hause, Michael«, sagte Gabriel. Geh, bevor die Erinnerungen an die Lust stärker werden als die Erinnerungen an den Schmerz . »Geh nach Hause zu Anne.«
    Anne mit ihrem hellbraunen Haar und den hellblauen Augen.
    Anne, die ihm eine Frau gewünscht hatte. Um alles wiedergutzumachen, was er litt .
    »Warum?«, fragte Michael herausfordernd.
    Bereit zu bleiben. Bereit zu sterben. Und das alles für einen Mann, der bereits zwei Mal einen Revolver auf seinen Kopf gerichtet hatte.
    Gabriel brauchte nicht zu lügen. »Solange du fort bleibst, mon vieux , werde ich überleben.«
    Und Michael ebenfalls.
    Keiner der beiden Männer zuckte mit der Wimper, atmete, rührte sich.
    Michaels Körperwärme und sein Schokoladenatem hüllten Gabriel ein. Wenn er nicht zurücktrat …
    Gabriel wog das Heft des Messers in seiner Linken, Elfenbein wärmte sein Fleisch, beugte sich seinen Wünschen …
    Zwischen einem Herzschlag und dem nächsten trat Michael zurück.
    Gabriel atmete tief durch, sog den Duft frisch aufgebrühten Tees und Holzfeuers ein statt Schokoladengeruch.
    »Habe ich deshalb keine Einladung bekommen?«, fragte Michael kurz angebunden.
    »Vielleicht.«
    Vielleicht hatte Gabriel es nicht über sich gebracht, Michael eine Einladung zur Wiedereröffnung des Hauses Gabriel zu schreiben, weil er die Konsequenzen seines Tuns kannte. Vielleicht hatte er aber auch gewusst, dass Michael wesentlich misstrauischer wäre, wenn er keine Einladung bekäme. Vielleicht hatte er durch den Verzicht auf eine Einladung sicherstellen wollen, dass Michael seine Rolle in diesem Spiel spielte, von dem er nichts wusste.
    »Hast du die Frau eingesperrt?«
    Victoria begehrte Gabriel, aber sie vertraute ihm nicht. Sie hatte gedacht, er würde sie töten. Und das sollte er auch.
    »Nein. Ich habe sie nicht eingesperrt.«
    Suchte sie gerade jetzt sein Schlafzimmer nach einer Waffe ab, mit der sie sich schützen könnte? Die beiden offenkundigsten Waffen hatte Gabriel zwar entfernt, aber jeder Gegenstand konnte zur Waffe werden. Eine Zahnbürste. Eine Vase. Eine Krawatte. Ihm fiel der Gehstock in seinem Kleiderschrank ein. Wenn man ihn drehte, verwandelte der silberne Knauf sich in das Heft eines kurzen Degens. Michael besaß einen Gehstock mit goldenem Knauf: Beide waren eigens für sie angefertigt, um zu töten.
    Höflich, heuchlerisch lud Gabriel ihn ein: »Möchtest du sie kennen lernen?«, und fragte sich gleichzeitig, was er tun sollte, falls Michael annahm.
    Michael durchschaute Gabriels Heuchelei. Und akzeptierte sie. Wie er Gabriel immer akzeptiert hatte. Seine Vergangenheit. Seine Entscheidungen … Den dreizehnjährigen Jungen, der er früher war; den vierzigjährigen Mann, der aus ihm geworden war.
    »Ich lass dich nicht sterben, Gabriel«, sagte Michael schlicht. »Denk daran.« Während Gabriel Michaels Leben nur zu bereitwillig gefährdet hatte.
    Bevor Gabriel antworten konnte – mit einer Halbwahrheit oder einer Halblüge –, drehte Michael sich um. Am Schreibtisch hielt er inne. Sein rechter Ellbogen beugte sich; gleichzeitig spannte sich sein Frack über seinen breiten Schultern. Er könnte nach einer Waffe greifen.
    Gabriel zwang sich, nicht den Derringer zu heben, um den ersten

Weitere Kostenlose Bücher