Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Abgrund: Roman (German Edition)

Abgrund: Roman (German Edition)

Titel: Abgrund: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Watts
Vom Netzwerk:
…«
    »Das ist lange her«, erwidert die Dunkelheit mit surrender Stimme. »Nur weil Sie so nachtragend sind, heißt das nicht …«
    »Das habe ich nicht gemeint«, sagt sie. Sie versucht, ihre Stimme sanft klingen zu lassen, doch aus dem Stimmwandler dringt nur ein heiseres Krächzen. »Ich wollte damit bloß sagen, dass das lange her ist. Er hat sich so weit von uns entfernt, dass wir ihn kaum noch auf dem Echolot sehen. Ich weiß nicht, ob er überhaupt noch einen von uns an sich heranlassen würde.«
    »Wir müssen es versuchen. Wir können ihn nicht einfach hier zurücklassen. Wenn ich nur nahe genug an ihn herankommen könnte, dass ich eine Verbindung zu ihm herstellen kann …«
    »Er könnte nicht antworten«, erinnert ihn Clarke. »Er ist noch vor unserer Umwandlung verschwunden, Mike. Das wissen Sie doch.«
    »Lassen Sie mich in Ruhe! Darum geht’s nicht!«
    Aber Clarke hat recht, und sie wissen es beide. Und plötzlich durchzuckt Lenie Clarke noch eine andere Erkenntnis. Ihr wird bewusst, dass ein Teil von ihr sich an Branders Qualen ergötzt. Sie versucht dagegen anzukämpfen und die Erkenntnis zu unterdrücken, denn nur so kann sie verhindern, dass Brander etwas davon mitbekommt. Doch es gelingt ihr nicht. Oder vielmehr will sie es eigentlich gar nicht. Mike Brander, der Alleswisser, Feind aller Perversen, der selbstgerechte, selbsternannte Rächer bekommt endlich ein wenig von dem heimgezahlt, was er Gerry Fischer angetan hat.
    Geben Sie auf, will sie ihm zurufen. Gerry ist verschwunden. Haben Sie nicht seine Empfindungen gespürt, als dieser Scheißkerl Scanlon ihn als Geisel genommen hat? Haben Sie nicht bemerkt, wie leer er gewesen ist? Oder war Ihnen das alles zu viel? Haben Sie stattdessen lieber den Blick abgewendet? Tja, wenn Sie es wirklich wissen wollen, Mikey: Er ist einfach nicht mehr menschlich genug, um Ihre halbherzigen Versuche der Wiedergutmachung würdigen zu können.
    Dieses Mal wird es keine Absolution für Sie geben, Mike. Diese Schuld werden Sie mit ins Grab nehmen müssen. Ist Gerechtigkeit nicht furchtbar?
    Sie wartet darauf, dass er eine Verbindung zu ihr herstellt und ihre Verachtung sich mit dem Sumpf aus Schuldgefühl und Selbstmitleid vermischt, der in ihm brodelt. Doch das geschieht nicht. Sie wartet und wartet. Doch Mike Brander ist so sehr in seine eigene Symphonie versunken, dass er sie gar nicht wahrnimmt.
    »Mist«, zischt Lenie Clarke leise.
    »Bitte melden«, ertönt Alice Nakatas Stimme von weit her. »An alle, bitte melden.«
    Clarke verstärkt ihr Signal. »Alice? Hier ist Lenie.«
    »Und Mike«, sagt Brander einen Moment später. »Ich höre.«
    »Ihr solltet besser zurückkommen«, sagt Nakata. »Sie haben angerufen.«
    »Wer? Die NB?«
    »Sie sagen, dass sie uns evakuieren wollen. In zwölf Stunden, heißt es.«

    »Das ist Unsinn«, sagt Brander.
    »Wer war es?«, will Lubin wissen.
    »Ich weiß es nicht«, erwidert Nakata. »Ich glaube, es war niemand, mit dem wir bisher zu tun hatten.«
    »Und das war alles, was er gesagt hat? Evakuierung in zwölf Stunden?«
    »Und wir sollen Beebe bis dahin nicht verlassen.«
    »Keine Erklärung? Keinerlei Begründung?«
    »Er hat sofort aufgelegt, nachdem ich den Befehl bestätigt hatte.« Nakata wirkt ein wenig schuldbewusst. »Ich hatte keine Gelegenheit zu fragen, und als ich zurückgerufen habe, hat niemand geantwortet.«
    Brander steht auf und geht zur Kommunikationszentrale hinüber.
    »Ich habe die Konsole schon auf Rufwiederholung gestellt«, sagt Clarke. »Sie meldet sich, wenn sie eine Verbindung hergestellt hat.«
    Brander bleibt stehen, mustert einen Moment lang das Schott in seiner Nähe und schlägt dann dagegen.
    »Das ist kompletter Schwachsinn !«
    Lubin schaut einfach nur zu.
    »Vielleicht auch nicht«, sagt Nakata. »Womöglich sind das gute Neuigkeiten. Wenn sie uns hier unten lassen wollten, bis die Bombe explodiert, warum sollten sie dann jetzt so tun, als wollten sie uns evakuieren? Wozu überhaupt mit uns reden?«
    »Um uns bei Laune zu halten und zu verhindern, dass wir uns aus der Reichweite der Bombe entfernen«, faucht Brander. »Ich frage Sie, Alice: Wenn sie uns wirklich evakuieren wollten, warum sollten sie uns dann nicht den Grund dafür nennen?«
    Nakata zuckt hilflos die Achseln. »Ich weiß es nicht. Die NB sagt uns doch sowieso nur selten, was tatsächlich vor sich geht.«
    Vielleicht wollen sie uns zermürben, grübelt Clarke. Womöglich haben sie es aus irgendeinem Grund darauf

Weitere Kostenlose Bücher