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Abgrund: Roman (German Edition)

Abgrund: Roman (German Edition)

Titel: Abgrund: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Watts
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schließlich.
    »Das ist Ihre Sache«, erwidert Lubin beinahe traurig.
    »Und warum sind Sie zurückgekehrt?«, fragt sie.
    »Jetzt gerade?« Lubin zuckt die Achseln. »Ich wollte … Ihnen nur sagen, dass es mir leidtut. Wegen Karl.«
    »Karl? Ja, mir auch. Aber das ist doch schon lange her.«
    »Er hat Sie wirklich gemocht, Lenie. Irgendwann wäre er zurückgekommen. Ich weiß es.«
    Sie mustert ihn neugierig. »Was meinen Sie …«
    »Man hat mich auf absolute Geheimhaltung konditioniert, wissen Sie, und Acton konnte direkt in mich hineinblicken. All die Dinge, die ich getan habe … früher einmal. Er konnte sie sehen. Es gab nichts, was …«
    Acton konnte in mich hineinblicken … »Ken, wir waren nie in der Lage, eine Verbindung zu Ihnen herzustellen. Das wissen Sie doch.«
    Er nickt und reibt die Hände aneinander. In dem schwachen blauen Licht sieht Clarke, wie sich auf seiner Stirn der Schweiß sammelt.
    »Wir erhalten eine bestimmte Ausbildung«, sagt er, seine Stimme kaum mehr als ein Flüstern. »Das Ganzfeld-Verhör gehört zu den Standardmethoden in den Arsenalen der Konzerne und Länder. Man muss deshalb … die Signale abblocken können. Mit den restlichen Besatzungsmitgliedern ist mir das auch größtenteils gelungen. Außerdem habe ich mich von Ihnen ferngehalten, damit es gar nicht erst zu Schwierigkeiten kommen konnte.«
    Was will er mir damit sagen?, fragt sich Lenie Clarke, obwohl sie die Antwort bereits kennt. Was will er mir sagen?
    »Aber Karl … Er hat seine Inhibitoren zu weit heruntergefahren … Ich konnte ihn nicht mehr aussperren.«
    Er reibt sich über das Gesicht. Clarke hat ihn noch nie so nervös gesehen.
    »Kennen Sie das Gefühl«, sagt Lubin, »wenn Sie mit der Hand in der Keksdose erwischt wurden? Oder im Bett mit dem Geliebten eines anderen? Dafür gibt es eine bestimmte Formel. Eine spezielle Kombination von Neurotransmittern. Wenn Sie das Gefühl haben, Sie wissen schon, von jemandem … ertappt worden zu sein.«
    Oh mein Gott!
    »Mir wurde ein bestimmter … Reflex antrainiert«, fährt er fort. »Er tritt immer dann in Erscheinung, wenn sich in meinem Körper diese speziellen chemischen Verbindungen aufbauen. Ich habe keine wirkliche Kontrolle darüber. Und wenn ich das Gefühl habe, dass jemand meine Tarnung durchschaut hat, dann …«
    Fünf Prozent, hat Acton damals zu ihr gesagt. Vielleicht zehn. Wenn ihr es so niedrig einstellt, wird euch nichts passieren.
    »Ich habe eigentlich keine Wahl . . .«, sagt Lubin.
    Fünf oder zehn Prozent. Mehr nicht.
    »Ich dachte … ich dachte, Karl hätte sich damals nur auf den Kalziummangel bezogen«, flüstert Clarke.
    »Es tut mir leid.« Lubin sitzt vollkommen reglos da. »Ich habe geglaubt, es wäre … das Sicherste für alle, wenn ich hier herunterkomme, wissen Sie? Und ich hätte recht behalten, wenn Karl nicht …«
    Benommen und distanziert schaut sie ihn an. »Wieso erzählen Sie mir das, Ken? Verletzt dieses … Geständnis nicht ebenfalls die Sicherheitsvorschriften?«
    Abrupt steht er auf. Einen Moment lang glaubt sie, er wolle sie umbringen.
    »Nein«, sagt er.
    »Weil Sie das Gefühl haben, dass ich sowieso schon so gut wie tot bin«, sagt sie. »Egal, was passiert. Es spielt also keine Rolle mehr.«
    Er wendet sich ab. »Es tut mir leid«, sagt er noch einmal und beginnt, die Leiter hinunterzusteigen.
    Sie spürt ihren Körper nur noch wie aus weiter Ferne. Doch in all der Leere scheint eine glühende Kohle aufzuflammen.
    »Und wenn ich nun meine Meinung ändere, Ken?«, ruft sie ihm hinterher und steht aus dem Sessel auf. »Wenn ich nun beschließe, den anderen hinterherzuschwimmen? Dann würden Ihre Mordreflexe wieder erwachen, nicht wahr?«
    Er hält auf der Leiter inne. »Ja«, sagt er schließlich. »Aber das werden Sie nicht tun.«
    Vollkommen reglos steht sie da und folgt ihm mit den Augen. Er schaut nicht einmal mehr zurück.

    Sie ist draußen. Das ist nicht Teil ihres Vorhabens. Ihr Vorhaben lautet drinnen zu bleiben, wie die NB es ihr befohlen hat. Einfach dazusitzen und das Schicksal herauszufordern.
    Doch nun ist sie am Schlund und schwimmt die Hauptstraße entlang. Wie schützende Giganten ragen die Generatoren über ihr auf. Sie genießt ihr warmes Natriumleuchten und gleitet unbemerkt durch Wolken aus flimmernden Mikroben hindurch. Unter ihr breitet sich das Benthos aus, filtert Leben aus dem Wasser und schenkt ihr ebenso wenig Beachtung wie sie ihm. Sie kommt an einem mehrfarbigen Seestern vorbei,

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