Abgrund: Roman (German Edition)
etwas am Bein. Er blickt nach unten: ein mit Zähnen gespicktes Maul, ein riesiger Kopf, der in der Finsternis kaum zu sehen ist.
Oh, verdammt …
Er drückt seinen Knüppel gegen die schuppige Haut. Etwas gibt nach wie Gelatine. Ein dumpfer Knall. Die Haut bläht sich auf und zerreißt; Blasen steigen aus dem Riss auf.
Plötzlich kracht etwas anderes von hinten in ihn hinein. Seine Brust ist in einem Schraubstock gefangen. Er schlägt wild um sich. Schlamm und Asche und schwarzes Blut wirbeln ihm ins Gesicht.
Er packt blindlings zu und wirft sich herum. Er hält einen abgebrochenen Zahn in der Hand, der halb so lang ist wie sein Unterarm. Er drückt noch fester zu, und der Zahn zersplittert. Er lässt ihn fallen, reißt den Knüppel herum und drückt ihn gegen das Ding an seiner Seite. Eine weitere Explosion aus Fleisch und komprimiertem CO 2 .
Der Druck verschwindet von seiner Brust. Was immer an seinem Bein hängt, bewegt sich nicht mehr. Fischer lässt sich hinabsinken und schwebt auf den Sockel eines Barytschornsteins zu.
Nichts stürzt sich auf ihn.
»Geht es Ihnen gut?«, fragt Lenies monotone Stimme. Fischer knurrt bejahend.
»Dem Himmel sei dank, dass die Fische hier alle unter Mangelernährung leiden«, ertönt Caracos surrende Stimme. »Wenn diese Viecher jemals genügend Vitamine bekommen, haben wir ein echtes Problem.«
Fischer streckt die Hand aus und entfernt das Maul des toten Ungeheuers von seiner Wade. Er wünscht sich, er könnte ordentlich durchatmen.
Schatten?
Ich bin hier.
Ist es bei dir auch so gewesen?
Nein. Das hier ging viel schneller.
Er liegt auf dem Meeresboden und versucht, die Augen zu schließen. Doch es gelingt ihm nicht; die Taucherhaut schließt bündig mit den Augenkappen ab und hält die Augenlider zurück. Es tut mir leid, Schatten. Wirklich.
Ich weiß, sagt sie. Schon gut.
Lenie Clarke steht nackt in der Krankenstation und besprüht die Blutergüsse an ihrem Bein. Nein, nicht ganz nackt; sie trägt immer noch die Kappen über den Augen. Fischer kann nur ihre Haut sehen.
Und das reicht ihm nicht aus.
Ein Blutrinnsal läuft direkt unterhalb der Wassereinlassöffnung an ihrem Brustkorb hinab. Sie wischt es geistesabwesend fort und füllt erneut die Spritze auf.
Ihre Brüste sind klein, fast wie bei einer Heranwachsenden. Sie hat keine Hüften. Ihr Körper ist ebenso bleich wie ihr Gesicht, abgesehen von den Blutergüssen und den frischen rosafarbenen Narben an der Stelle, wo die Implantate eingesetzt wurden. Sie sieht aus, als sei sie magersüchtig.
Sie ist die erste Erwachsene, die jemals Fischers Verlangen geweckt hat.
Sie blickt auf und sieht ihn in der Tür stehen. »Ziehen Sie sich aus«, sagt sie zu ihm und beugt sich wieder über ihr Bein.
Er öffnet die Taucherhaut und beginnt, sich aus ihr herauszuschälen. Lenie ist mit ihrem Bein fertig und drückt eine Ampulle in den Schnitt in ihrer Seite. Wie durch Magie gerinnt das Blut augenblicklich.
»Wir wurden vor den Fischen gewarnt«, sagt Fischer, »aber es hieß, sie seien äußerst zerbrechlich. Man hat uns gesagt, dass man sie mit bloßen Händen abwehren kann, wenn es sein muss.«
Lenie besprüht mit der Spritze den Schnitt in ihrer Seite und wischt die überschüssige Flüssigkeit fort. »Sie können von Glück reden, dass man Ihnen überhaupt so viel gesagt hat.« Sie zieht das Oberteil ihrer Taucherhaut vom Bügel und schlüpft hinein. »Als sie uns anfangs hier heruntergeschickt haben, haben sie uns kaum etwas darüber erzählt, wie groß die Fische hier werden.«
»Wie dumm. Sie müssen es doch gewusst haben.«
»Angeblich soll das die einzige Quelle sein, wo die Fische so riesig sind. Jedenfalls die einzige, die bisher entdeckt wurde.«
»Warum? Was ist an dieser hier so besonders?«
Lenie zuckt die Achseln.
Fischer hat sich bis zur Hüfte ausgezogen. Lenie mustert ihn. »Die Hose auch. Schließlich hat es Ihre Wade erwischt, oder?«
Er schüttelt den Kopf. »Das ist schon in Ordnung.«
Sie blickt an ihm hinab. Seine Taucherhaut ist nur wenige Millimeter dünn, sie verbirgt nichts. Er spürt, wie seine Erektion unter ihrem Blick erschlafft.
Lenies kalte, weiße Augen wandern zu seinem Gesicht zurück. Fischer spürt, wie ihm die Hitze in die Wangen steigt, ehe es ihm wieder einfällt: Sie kann seine Augen nicht sehen. Niemand kann sie sehen.
Hier drin ist er beinahe sicher.
»Meistens bekommt man nur einen Bluterguss ab«, sagt Lenie schließlich. »Die Fische schaffen es selten,
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