Abgrund: Roman (German Edition)
die Taucherhaut zu zerbeißen, aber die Kraft des Bisses dringt trotzdem durch.« Ihre Hand liegt auf seinem Arm, sicher und fachmännisch begutachtet sie die Ränder von Fischers Verletzungen. Es tut weh, aber das macht ihm nichts aus.
Sie öffnet eine Tube anabolischer Salbe. »Hier. Reiben Sie sich damit ein.«
Der Schmerz verschwindet, sobald seine Haut mit der Salbe in Berührung kommt. An den Stellen, wo er sie aufträgt, breitet sich eine kribbelnde Wärme aus. Ein wenig ängstlich streckt er die Hand aus und berührt Lenie am Arm. »Danke.«
Ohne ein Wort entzieht sie sich seiner Hand und beugt sich vor, um das Unterteil ihrer Taucherhaut anzuziehen. Fischer sieht zu, wie die Hose an ihrem Körper hinaufgleitet. Sie scheint beinahe lebendig zu sein. Sie ist beinahe lebendig, fällt ihm wieder ein. Die Taucherhaut hat Reflexe, verändert ihre Durchlässigkeit und Wärmeleitfähigkeit der Körpertemperatur entsprechend. Hält die – wie hieß das doch gleich? – Homöostase im Gleichgewicht.
Jetzt sieht er zu, wie die Haut Lenies Körper verschluckt wie eine glatte, schwarze Amöbe. Doch Lenie bleibt darunter sichtbar. Jetzt besteht sie aus schwarzem Eis statt aus weißem, aber sie ist immer noch das schönste Geschöpf, das er jemals gesehen hat. Sie ist so weit weg. Eine Stimme in seinem Innern sagt ihm, er soll vorsichtig sein …
– Verschwinde, Schatten –
… aber er kann nicht anders. Er kann sie beinahe berühren, während sie sich vorbeugt, um ihre Stiefel anzuziehen, und seine Hand streichelt die Luft über ihrer Schulter, folgt der Linie ihres gekrümmten Rückens, so nah, dass er die Wärme ihres Körpers spüren könnte, wenn die blöde Taucherhaut nicht dazwischen wäre und …
Sie richtet sich auf und stößt gegen seine Hand. Sie blickt hoch; hinter ihren Augenkappen blitzt etwas auf. Er zieht die Hand zurück, doch es ist zu spät. Ihr ganzer Körper ist starr vor Wut.
Ich habe sie nur berührt. Ich habe nichts Schlimmes getan, habe sie nur berührt …
Sie tritt einen Schritt vor. »Machen Sie das nicht noch einmal«, sagt sie, ihre Stimme so ausdruckslos, dass er sich einen Moment lang fragt, wieso ihr Stimmwandler auch außerhalb des Wassers funktioniert.
»Ich bin nicht … Ich habe das nicht …«
»Das ist mir egal«, sagt sie. »Machen Sie das nicht noch einmal.«
Aus den Augenwinkeln nimmt er eine Bewegung wahr. »Irgendwelche Probleme, Lenie? Brauchen Sie Hilfe?« Branders Stimme.
Sie schüttelt den Kopf. »Nein.«
»Wie Sie meinen.« Brander klingt enttäuscht. »Ich bin oben.«
Wieder eine Bewegung. Geräusche, die sich entfernen.
»Es tut mir leid«, sagt Fischer.
»Gut«, sagt Lenie und geht an ihm vorbei in den Schleusenraum.
Autoklav
Am Fuß der Leiter stößt Nakata beinahe gegen sie. Clarke wirft ihr einen wütenden Blick zu, und Nakata macht ihr Platz und entblößt die Zähne zu einem unterwürfigen Primatenlächeln.
Brander ist im Aufenthaltsraum und blättert in der Bibliothek: »Geht es Ihnen … ?«
»Alles in Ordnung.« Das stimmt zwar nicht ganz, aber sie ist auf dem Weg dorthin. Ihre Wut hat längst nicht den kritischen Punkt erreicht. Eigentlich ist sie nur ein Reflex, ein Funke, der sich von der Hauptmasse in ihrem Innern gelöst hat. Je mehr Zeit verstreicht, desto mehr lässt die Wut nach. Als Clarke ihre Kabine erreicht hat, tut Fischer ihr beinahe leid.
Es war nicht seine Schuld. Er hat es nicht böse gemeint.
Sie schließt die Luke hinter sich. Jetzt kann sie ihre Wut an etwas auslassen, wenn sie will. Sie blickt sich lustlos nach einem Ziel um und lässt sich schließlich einfach auf die Koje sinken und starrt an die Decke.
Etwas klopft gegen Metall. »Lenie?«
Sie steht auf und öffnet die Luke.
»He, Lenie, ich glaube die Übertragung an einem der Tintenfische funktioniert nicht richtig. Ich habe mich gefragt, ob Sie vielleicht …«
»Klar.« Clarke nickt. »Von mir aus. Nur nicht jetzt, okay … ähm …«
»Judy«, sagt Caraco ein wenig säuerlich.
»Richtig. Judy.« Eigentlich hat Clarke ihren Namen gar nicht vergessen. Aber in Beebe ist es in letzter Zeit einfach zu voll. Deshalb hat sich Clarke angewöhnt, hin und wieder einmal einen Namen zu vergessen. Das schafft ein wenig Distanz.
Meistens jedenfalls.
»Entschuldigen Sie mich«, sagt sie und schiebt sich an Caraco vorbei. »Ich muss nach draußen.«
An manchen Stellen ist die Riftzone beinahe freundlich.
Normalerweise jagt die Hitze in Form von Säulen aus
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