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Abgrund: Roman (German Edition)

Abgrund: Roman (German Edition)

Titel: Abgrund: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Watts
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trifft. Beiläufig legt sie ihm unter dem Tisch eine Hand auf den Oberschenkel. Natürlich geht sie damit ein Risiko ein. Acton würde noch mehr in Rage geraten, wenn er das Gefühl hätte, herablassend behandelt zu werden.
    Dieses Mal entspannt er sich jedoch ein wenig. »Ich glaube, sie wollten verhindern, dass wir uns hier einleben. Ich bin der Meinung, die Station ist absichtlich so konstruiert, dass sie uns ständig auf die Nerven geht.«
    »Warum?« Wieder Caraco, angespannt, aber höflich.
    »Weil ihnen das einen Vorteil verschafft. Solange wir ständig genervt sind, solange denken wir nicht darüber nach, welchen Schaden wir anrichten könnten, wenn wir wollten.«
    »Was könnten wir denn tun?«
    »Denken Sie doch mal nach, Judy. Wir könnten dem gesamten Netz von den Queen Charlotte Islands bis nach Portland den Strom abdrehen.«
    »Dann würden sie eben einfach auf eine andere Stromquelle umschalten«, sagt Brander. »Es gibt viele Unterwasserstationen.«
    »Ja. Und überall arbeiten Leute wie wir.« Acton schlägt mit der Hand auf den Tisch. »Kommen Sie schon. Denen gefällt es nicht, dass wir hier unten sind. Die hassen uns. Wir sind kranke Typen, die ihre Frauen schlagen und ihre Kinder zum Frühstück essen. Wenn nicht jeder andere hier unten ausflippen würde …«
    Clarke schüttelt den Kopf. »Aber sie könnten uns auch ganz abschaffen, wenn sie wollten. Und einfach alles automatisieren.«
    »Halleluja.« Acton applaudiert sarkastisch. »Die Frau hat’s endlich begriffen.«
    Brander lehnt sich auf seinem Stuhl zurück. »Jetzt machen Sie mal halblang, Acton. Haben Sie denn noch nie für die NB gearbeitet? Haben Sie überhaupt jemals im Dienst einer Bürokratie gestanden?«
    Actons Blick fährt herum und bleibt auf ihm haften. »Worauf wollen Sie hinaus?«
    Brander erwidert seinen Blick mit einem leicht höhnischen Lächeln. »Worauf ich hinauswill, Karl, ist, dass Sie in das Ganze viel zu viel hineininterpretieren. Die Netzbehörde hat also die Decke zu niedrig gebaut, und ihre Innenarchitekten hatten von Tuten und Blasen keine Ahnung. Na und? So sehr fürchtet sich die NB nun auch wieder nicht vor Ihnen.« Er macht eine Handbewegung, die die gesamte Station umfasst. »Es geht hier nicht um irgendeine raffinierte psychologische Kriegsführung. Beebe wurde einfach von inkompetenten Schwachköpfen konstruiert.« Brander steht auf und trägt seinen Teller zur Kombüse hinüber. »Wenn Ihnen die Deckenhöhe nicht gefällt, bleiben Sie doch einfach draußen.«
    Acton blickt Lenie Clarke an, sein Gesicht vollkommen ausdruckslos. »Oh, das würde ich gern. Das können Sie mir glauben.«

    Er sitzt über das Terminal gebeugt da, Kopfhörer über den Ohren und eine Datenbrille auf den Augen, während der Flachbildschirm wie immer schwarz ist, damit die anderen nicht sehen können, was er sich gerade anschaut. Als ob irgendetwas in der Datenbank wirklich persönlich wäre. Als ob die Netzbehörde jemals zulassen würde, dass etwas wahrhaft Brisantes an die Öffentlichkeit gelangt.
    Sie hat gelernt, ihn in diesem Zustand nicht zu stören. Er ist auf der Jagd und will nicht abgelenkt werden, als könnten die Dateien, nach denen er sucht, sich irgendwie verflüchtigen, wenn er nicht hinschaut. Sie berührt ihn nicht und streicht ihm auch nicht mit dem Finger über den Arm oder massiert ihm die Schultern. Jedenfalls nicht mehr. Es gibt tatsächlich Fehler, aus denen Lenie Clarke lernen kann.
    Er ist auf seltsame Weise hilflos; abgeschnitten vom Rest der Station, blind und taub gegenüber der Anwesenheit von Menschen, die keineswegs seine Freunde sind. Brander könnte in diesem Augenblick von hinten an ihn herantreten und ihm ein Messer in den Rücken stechen. Und dennoch lassen ihn alle in Ruhe. Seine betäubten Sinne, die selbstauferlegte Verwundbarkeit wirken fast wie eine Herausforderung, auf die niemand einzugehen wagt. So sitzt Acton also an der Tastatur – anfangs hat er noch getippt, inzwischen hämmert er regelrecht auf die Tasten –, in seiner privaten Datensphäre gefangen, und seine blinde und taube Gestalt dominiert den Aufenthaltsraum auf eine Weise, die in keinem Verhältnis zu seiner Körpergröße steht.
    »VERDAMMT!«
    Er reißt sich die Datenbrille vom Kopf und schlägt mit der Faust auf die Konsole. Es ist nicht einmal ein Knacken zu hören. Mit funkelnden weißen Augen sieht er sich wütend im Aufenthaltsraum um, und sein Blick bleibt bei Nakata in der Kombüse hängen. Lenie Clarke hat

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