Abgrund: Roman (German Edition)
ja keine Ahnung. Du hältst mich für so was wie einen Junkie.«
»Karl …«
»Glaubst du, ich wüsste nicht, was Sucht ist? Denkst du, ich kenne den Unterschied nicht?«
Sie antwortet nicht.
Er bringt ein kleines, trauriges Lachen zustande. »Ich werde verrückt, Len. Du zwingst mich dazu. Warum in Gottes Namen willst du das?«
»Weil das dein wahres Ich ist, Karl. Das dort draußen bist nicht du. Das ist nur ein Zerrbild.«
»Draußen bin ich wenigstens kein Arschloch. Draußen bringe ich niemanden dazu, mich zu hassen.«
»Nein.« Sie umarmt ihn. »Wenn du dein Temperament nur zügeln kannst, indem du dich in jemand anderes verwandelst und dich die ganze Zeit betäubst, dann versuche ich mein Glück doch lieber mit dem Original.«
Acton blickt sie an. »Ich hasse diesen Zustand. Verdammt, Len. Hast du es denn nie satt, von anderen geschlagen zu werden?«
»Ziemlich gemein von dir, so etwas zu sagen«, stellt sie ruhig fest.
»Das glaube ich nicht. Ich kann mich an einige Dinge erinnern, die ich dort draußen gesehen habe, Len. Es ist fast, als würdest du es darauf anlegen … Ich meine, lieber Gott, Lenie, ihr seid alle so voller Hass …«
Sie hat ihn noch nie so reden gehört. Nicht einmal draußen. »Auch in dir steckt ein wenig davon, weißt du.«
»Ja. Ich dachte, das hätte mich verändert. Ich habe geglaubt, es würde mir … einen Vorteil verschaffen, verstehst du?«
»Das tut es auch.«
Er schüttelt den Kopf. »Oh nein. Nicht verglichen mit dir.«
»Stell dein Licht nicht unter den Scheffel. Oder siehst du mich etwa gegen die ganze Station antreten?«
»Das ist es ja gerade, Len. Ich muss ständig Dampf ablassen und verschwende meine Energie auf bescheuerte Dinge. Aber du … du sammelst deine Kräfte.« Sein Gesichtsausdruck verändert sich, auch wenn sie diese Veränderung nicht recht deuten kann. Vielleicht ist es Beunruhigung. Oder Besorgnis. »Manchmal fürchte ich mich vor dir noch mehr als vor Lubin. Du verlierst niemals die Beherrschung und prügelst dich nie mit jemandem – verdammt, es ist schon ein Ereignis, wenn du nur einmal die Stimme erhebst –, also staut sich alles in dir auf. Das hat wohl seine Vorteile, nehme ich an.« Er bringt ein leises Lachen zustande. »Hass ist ein starker Motor. Wenn dich jemals irgendetwas … in Fahrt bringen würde, wärst du nicht mehr aufzuhalten. Aber so bist du einfach nur … giftig. Ich glaube, du weißt gar nicht, wie viel Hass du in dir trägst.«
Mitleid?
Etwas in ihr wird plötzlich eiskalt. »Spiel nicht den Psychiater, Karl. Nur weil deine Nervenverbindungen zu schnell feuern, heißt das nicht, dass du das zweite Gesicht hast. So gut kennst du mich nun auch wieder nicht.«
Natürlich nicht. Sonst wärst du nicht mit mir zusammen .
»Nicht hier drinnen.« Er lächelt, doch in seinem Gesicht ist immer noch dieser merkwürdige, kranke Ausdruck zu sehen. »Draußen kann ich zumindest etwas erkennen. Hier drinnen bin ich völlig blind.«
»Du befindest dich im Land der Blinden«, sagt sie barsch. »Das ist nicht unbedingt ein Nachteil.«
»Tatsächlich? Würdest du hierbleiben, wenn du dir dafür die Augen ausreißen müsstest? Würdest du an einem Ort bleiben, an dem dein Gehirn Stück für Stück verrottet und du dich von einem Menschen in einen Affen verwandelst?«
Clarke denkt darüber nach. »Wenn ich von Anfang an ein Affe gewesen bin, dann vielleicht schon.«
Oh je. Das klang ziemlich hirnverbrannt, oder?
Acton sieht sie einen Moment lang an. Und da ist auch noch etwas anderes in ihm, das sie schläfrig und mit einem offenen Auge mustert.
»Zumindest verschaffe ich mir nicht meine Glückshormone, indem ich ständig das Opfer spiele«, sagt er langsam. »Du solltest dir wirklich genauer überlegen, auf wen du hinabblickst.«
»Und du«, erwidert Clarke, »solltest dir deine frommen Sprüche für die seltenen Gelegenheiten aufsparen, wenn du tatsächlich weißt, wovon du redest.«
Er steht vom Bett auf und funkelt sie wütend an, die Hände bewusst locker an der Seite.
Clarke bewegt sich nicht. Sie spürt, wie ihr ganzer Körper von innen heraus erstarrt. Sie hebt langsam den Kopf, bis sie direkt in Actons verhüllte Augen blickt.
Es ist jetzt dort drin, inzwischen hellwach. Acton ist nicht mehr zu sehen. Alles ist wieder im grünen Bereich.
»Denk nicht einmal daran«, sagt sie. »Ich war geduldig mit dir, der guten alten Zeiten wegen. Aber wenn du mich noch einmal anfasst, dann schwöre ich dir, werde ich dich,
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