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Abgrund: Roman (German Edition)

Abgrund: Roman (German Edition)

Titel: Abgrund: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Watts
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verflucht noch mal, umbringen.«
    Sie wundert sich innerlich über die Stärke in ihrer Stimme; sie klingt hart wie Stahl.
    Einen endlosen Moment lang starren sie einander an.
    Dann dreht sich Acton auf dem Absatz um und öffnet die Luke. Clarke sieht ihn aus der Kabine treten. Caraco, die im Korridor wartet, lässt ihn ohne ein Wort vorbei. Clarke bleibt vollkommen ruhig, bis sie die Geräusche der Luftschleuse hört.
    Er hat nicht an meinen Worten gezweifelt .
    Allerdings ist sie sich diesmal gar nicht so sicher, ob sie sie nicht tatsächlich ernst gemeint hat.

    Er kommt nicht mehr zu ihr.
    Es ist Tage her, seit sie das letzte Mal ein Wort miteinander gewechselt haben. Selbst ihr Tagesrhythmus weicht inzwischen voneinander ab. Heute Nacht, als sie versucht hat, einzuschlafen, hat sie ihn aus der Tiefe heraufkommen und in den Aufenthaltsraum gehen gehört, wie ein Meeresungeheuer, das in die Station eindringt. Hin und wieder kommt er noch herein, wenn die Station verlassen ist, wenn alle anderen draußen oder in ihren Kabinen sind. Dann sitzt er in der Bibliothek und reist mithilfe der Datenbrille durch endlose virtuelle Welten, während jede seiner Bewegungen Verzweiflung ausdrückt. Es scheint, als müsste er den Atem anhalten, wann immer er hereinkommt. Einmal hat sie gesehen, wie er sich das Headset vom Kopf gerissen hat und nach draußen geflohen ist, als würde ihm die Brust platzen. Als sie das zurückgelassene Headset hochgehoben hat, leuchteten die Ergebnisse seiner Literatursuche immer noch in der Datenbrille. Es ging um Chemie.
    Ein anderes Mal hat er sich auf dem Weg nach draußen noch einmal umgedreht und sie im Korridor stehen sehen. Er hat gelächelt und sogar irgendetwas gesagt: »… es tut mir leid …« So viel zumindest hat sie verstanden. Möglicherweise hat er auch noch mehr gesagt. Er ist nicht geblieben.
    Jetzt ruhen seine Hände unbeweglich auf der Tastatur. Seine Schultern beben, doch er gibt kein Geräusch von sich. Lenie Clarke schließt einen Moment lang die Augen und fragt sich, ob sie zu ihm gehen soll. Als sie sie wieder öffnet, ist der Aufenthaltsraum leer.

    Sie weiß genau, wohin er geht. Sein Icon löst sich von Beebe und kriecht über die Anzeige davon. Und in dieser Richtung gibt es nur ein Ziel.
    Als sie dort ankommt, klettert er gerade über den Rücken des Dings und gräbt mit dem Messer ein Loch hinein. So weit entfernt vom Schlund fangen Clarkes Augenkappen kaum genug Licht auf, um etwas erkennen zu können. Im Licht ihrer Stirnlampe sieht sie Acton immer wieder mit dem Messer ausholen und zustechen, während sein Schatten über einen Horizont aus totem Fleisch zuckt.
    Er hat einen Krater gegraben, etwa einen halben Meter im Durchmesser und einen halben tief. Er hat die Schicht aus Walspeck direkt unter der Haut durchdrungen und schneidet jetzt in das braune Muskelfleisch darunter. Es ist bereits Monate her, seit das Geschöpf hier unten gelandet ist. Clarke wundert sich darüber, dass es immer noch so gut erhalten ist.
    Die Tiefe liebt die Extreme, denkt sie. Sie ist mal Dampfkocher und mal Kühlschrank .
    Acton hört auf zu graben. Er schwebt einfach nur dort und betrachtet sein Werk.
    »Was für eine blöde Idee«, erklingt schließlich seine surrende Stimme. »Ich weiß gar nicht, was mich manchmal überkommt.« Er dreht sich zu ihr um; in seinen Augenkappen spiegelt sich gelbes Licht. »Es tut mir leid, Lenie. Ich weiß, dieser Ort war irgendwie etwas Besonderes für dich, ich wollte ihn nicht … nun ja, entweihen.«
    Sie schüttelt den Kopf. »Schon gut. Es spielt keine Rolle.«
    Ein Glucksen dringt aus Actons Stimmwandler; an der Luft wäre es ein trauriges Lachen gewesen. »Manchmal überschätze ich mich, Len. Wenn ich drinnen bin und wieder mal Mist baue und nicht weiß, was ich machen soll, dann denke ich, ich muss nur hinausgehen, und es wird mir wie Schuppen von den Augen fallen. Das ist beinahe wie ein religiöser Glaube. Hier draußen finden sich alle Antworten.«
    »Schon gut«, sagt Clarke noch einmal, weil es ihr besser erscheint, als gar nichts zu erwidern.
    »Nur dass einem die Antwort manchmal nicht wirklich weiterhilft, weißt du? Manchmal lautet die Antwort einfach nur: ›Vergiss es. Du steckst in der Scheiße.‹« Acton blickt wieder zu dem toten Wal hinüber. »Könntest du bitte das Licht ausschalten?«
    Die Dunkelheit verschluckt sie wie eine Decke. Clarke streckt die Hand aus und zieht Acton zu sich heran. »Was wolltest du damit

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