Abiona - Das Bündnis (German Edition)
das eindeutig so klang, als würde eine Kreatur im Sterben liegen.
Thuri hatte keine Wahl. Sie schob den Stein durch den Spalt und zwängte sich anschließend selbst hindurch nach draußen. Der Himmel war klar und sternenreich. Der fast volle Mond strahlte sanft auf sie hinab. Und direkt vor ihr, zwischen einem kahlen Dornengestrüpp und einem flachen Erdhügel lag ein Mann.
Er war nackt und seine helle Haut glänzte vor Fieberschweiß. Der Mann hatte die Augen geschlossen und krümmte sich qualvoll auf dem Boden, so als würde er den inneren Kampf mit dem Tod führen.
Thuri sank auf die Knie, als sie sein blasses Gesicht sah, das vom Mondschein fahl erleuchtet wurde. Und eine Erinnerung, scharf und stechend drang gleichzeitig in ihr Bewusstsein. Sie schloss die Augen und begann zu weinen. Nichts und Niemand hatte sie auf diesen Anblick und auf diesen Augenblick vorbereitet. Hatte sie sich eben noch hilflos und schwach gefühlt, als sie die Steine transportiert hatte, war das nichts im Vergleich zu dem, was jetzt in ihr los war. Kraftlos ließ sie sich auf alle Viere fallen, während ihr Geist mutwillige Gedanken formte.
Vielleicht war das alles ja ganz normal! Eine Art Transformationsprozess. Vielleicht litt er Schmerzen, weil die Verbindung mit seinem Lichtkern ihn überwältigte, oder weil er nicht wusste, wo und wer er war? Doch dann war sie die Falsche! Jack war der Heiler! Er hätte hier sein müssen, genau wie Robin es gesagt hatte. Sie und Jack hätten zusammen gehen müssen. Doch Jack hatte ihren Schmerz gesehen und Robin überredet, mit Vanderwal zu verhandeln. Jetzt war sie hier und er in den Fängen der Kralle und Robin war trotzdem nicht bei ihr. Man sollte nicht lieben, überlegte sie trocken. Es macht alles zunichte!
Ein lautes Aufkeuchen des Mannes weckte sie aus ihrer Erstarrung und sie wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und kroch auf ihn zu. Sein Kopf zuckte wild hin und her und sein Atem ging stoßweise.
»Bitte, ruhig, ganz ruhig. Ich bin ja bei dir. Ich bin hier...«
Ihre Stimme bewirkte etwas. Der Kopf des Mannes blieb ruhig liegen und sein Stöhnen verebbte zu einem leisen Seufzen.
»Es ist gleich vorbei. Du schaffst das schon. Ich bleibe bei dir....« Thuri berührte vorsichtig den Kopf des Mannes. Seine Haut fühlte sich trotz des Fiebers eiskalt an. Thuri sah sich suchend um und ihr Blick fiel auf ein Bündel, das einige Schritte entfernt im Gras lag. Es war der Rucksack, den sie abgestreift hatte, als sie durch den Spalt ging.
»Warte, ich hole etwas«, flüsterte sie und ließ seinen Kopf los. Er stöhnte auf und seine Schreie klangen angstvoll. Sofort war Thuri wieder bei ihm. »Es ist alles gut, ich bin ja da«, rief sie, ließ den Rucksack zu Boden fallen und legt ihm eine Hand auf die Schultern. »Du bist in Sicherheit. Ruhig, ganz ruhig.«
Er beruhigte sich ein wenig, doch das Zittern wollte nicht nachlassen. Seine Hände krallten sich in den Boden und sein Gesicht war schmerzverzerrt. Dennoch war er schön. So schön, dass es wehtat, ihn auf diese Weise leiden zu sehen.
»Du bist schön wie ein Engel, selbst als Mensch, Espanvandor«, flüsterte Thuri leise. Dann durchstöberte sie ihren Rucksack nach einer wärmenden Decke. Sie hüllte ihn darin ein und legte sich neben ihn, während sie unablässig mit ihm sprach, denn beim Klang ihrer Stimme wurde er ruhiger.
Ein leidender Engel. Eingesperrt in einen menschlichen Körper. Thuri spürte erneut Tränen auf ihrem Gesicht, doch jetzt störte sie sich nicht mehr daran. Zwar war sie erschöpft, entkräftet, machtlos und verzweifelt und dennoch…, etwas, das von ihm ausging, vielleicht seine Wärme, die sie durch die Decke spürte, schenkte ihr Trost und Gelassenheit und ließ sie den eigenen Schmerz vergessen.
Als Espanvandor nach einer Weile ruhiger atmete, streichelte Thuri ihm vorsichtig über das Gesicht. »Ich gehe zurück, um die anderen zu holen. Dann werdet ihr wieder zusammen sein.«
Der einstige Dämon sah jetzt fast so aus, als würde er schlafen. Als Thuri sich aufrichtete, bewegten sich seine Lippen und seine Stirn zog sich kraus, doch ansonsten blieb er still liegen. Thuri spürte ein schwaches Lächeln auf ihrem Gesicht. Leise sagte sie: »Schlafe Engel, bis die Nacht vorüber ist und ein neuer Tag dein Lächeln begrüßt.« Und wie als Antwort darauf entspannten sich Espanvandors Gesichtszüge und seine Atmung vertiefte sich.
Thuri schüttelte schmerzvoll den Kopf. Was hatten sie sich nur dabei
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