Abiona - Das Bündnis (German Edition)
sehr bestimmt und sah sie nun offen an. »Kaisho, ich weiß nicht, wie lange ich brauche und ich möchte nicht gestört werden. Es kann Stunden oder auch Tage dauern. Hier auf dem Gelände laufen Wachen und Tempeldiener herum, die mich nervös machen. Ich werde mich bei euch melden. Das ist alles, was ich von dir verlange. Alles, was ich im Moment brauche.«
Kaisho nickte wenig überzeugt. »Gut, dann bleibt mir nichts zu sagen, als viel Glück«! Sie erhob sich und schritt leichtfüßig davon.
»Danke«, murmelte Jack ihr hinterher. Dann war er allein mit dem schwarzen Seelenstein.
Er wollte es richtig machen! Wo würde Tenkara gerne erwachen? Wovon hatte sie in ihren Visionen über das Menschsein immer geträumt? Er brauchte nicht lange, um in seinen Erinnerungen das richtige Bild zu finden. Es war jenes Land, wo sie ihre Heimat hatte: Benawara. Die Schönheit dieses Paradieses konnte er ihr zwar nicht bieten, doch wollte er einen Ort aufsuchen, der sie womöglich daran erinnerte. Die Kälte der Nacht war kaum noch ein Problem. Und er würde vorsorgen. So packte er ein, was er brauchte: Ein Zelt, Decken, Kissen, Kleidung, Kristalle, drei Lichtsäulen und ein Bündel mit Kräutern und medizinischen Mitteln, dann etwas Verpflegung und Kochgeschirr für drei Tage. Das musste reichen. In weniger als einer Stunde war er aufbruchbereit. Er verabschiedete sich von niemandem. Es war besser so, falls er nicht zurückkehren sollte. Falls Tenkara wirklich gefährlich für ihn war.
Dann holte er sein Pferd aus dem Stall und ritt in Richtung Westen davon. Er kannte einen Ort, der ihm immer so verzaubert vorgekommen war. Eine Wiese am Framerror in der Nähe eines eindrucksvollen Waldes, an dessen Saum riesige Bäume standen. Dort würde er sein Zelt aufschlagen und Tenkara empfangen und ihr des Nachts die unzähligen Sterne zeigen, die sich auf der stillen Wasseroberfläche spiegelten. Hier wollte er sie pflegen, bis es ihr besser ging und sie sich entscheiden konnte, wohin sie gehen wollte. Das war sein Plan und seine Hoffnung. Und wenn es ihm nicht gelang, wenn sie nicht kam oder es doch nicht ihr Lichtkern war, der in jetzt seiner Hosentasche steckte, dann war er mit seiner Trauer allein und konnte an diesem Ort der Einkehr einige Tage verweilen, bis er wusste, was zu tun war.
Er gab seinem Pferd die Sporen. Tenkara, ich hole dich in diese Welt!
Erwachen
Ionason erwachte. Und es war ein wirkliches Erwachen. Er blieb liegen, um die Unfassbarkeit des Augenblicks in allen Fasern seines neugebildeten Körpers zu spüren. Er atmete bewusst Luft ein, die seine weichen, feuchten Lungen dehnte, nahm wahr, wie dadurch sein ganzer Organismus mit Kraft und Energie gefüllt wurde, genoss den Moment des Übergangs, wo es weder Ein- noch Ausatmen gab, sondern nur einen schwebenden Zustand der Ruhe und ließ dann die verbrauchte Luft wieder entweichen, nur um im nächsten Moment wieder frische Lebensenergie in sich aufzunehmen.
Es war ein anregendes, fantastisches, unbeschreiblich kraftvolles Gefühl und er gab sich der Erfahrung des Atmens noch zwei weitere Male bewusst hin. Erst dann richtete er sich langsam auf. Seine geschärften Sinne überfluteten ihn mit Informationen, die er kaum verarbeiten konnte. Die weiche Unterlage, auf der er lag, gab nach, als er sich aufstemmte und sendete die verrückte Botschaft, sie nicht zu verlassen, da es sich ungewöhnlich gut anfühlte, auf ihr liegen zu bleiben. Doch gleichzeitig war da ein merkwürdiges Bedürfnis in seinem Unterbauch, das nach Befreiung schrie und er wusste, dass er sich diesem entledigen musste. Auch spürte er das Verlangen, etwas in sich aufzunehmen, das kühl und frisch war wie die Luft, die er eingeatmet hatte und doch von dichterer Substanz... Wasser?!
Er stand auf und sah sich um. Die Wände und die Decke seiner gemütlichen Behausung bestanden überwiegend aus Lehm, Erde und Stroh und aus gröberen Steinen, von denen jeder seine eigene Struktur und Farbe besaß. Der kalte Boden unter seinen nackten Füßen fühlte sich lehmig, glatt und feucht an und verstärkte das unangenehme Ziehen in seinem Unterbauch. Ionason schloss die Augen und hielt sich an der Wand fest.
Jetzt übermittelten ihm seine Finger verwirrende Empfindungen von Kälte, Struktur und Schmerz und verwundert zog er die Hand wieder zurück und besah sich die kleinen Dellen auf seinen Fingerspitzen. Dann ließ sich der Drang, der ihn im Unterbauch quälte, nicht mehr zurückhalten. Er blickte an
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