Abiona - Das Bündnis (German Edition)
den Wahnsinn zu treiben.
Ju Lissanto hatte unter den Zweiten viele Bewunderer. Sie schätzten seine Stärke, Kraft und Skrupellosigkeit und sahen in ihm den geborenen Führer. Er gehörte zum engeren Vertrautenkreis der Dunklen Herrscherin, behielt sich jedoch auf galante Art und Weise stets seine eigene Autonomie. Er war besessen von dem Gedanken, selbst an die Macht zu kommen, auch wenn er dabei seinen einstigen Verbündeten in den Rücken fallen müsste. Alles in allem: Ein vorbildlicher Dämon, der die besten Eigenschaften in sich vereinte.
Tenkara erreichte die zweite Ebene ohne Zwischenfälle und landete sanft auf dem silbernen Landefeld. Diese Ebene, auch der silberne Tunnel genannt, war ausschließlich Zweiten vorbehalten, denn Ju Lissanto legte großen Wert darauf, sich nicht mit dem gemeinen Volk zu mischen.
Die Ebene war prunkvoll gestaltet und Tenkara nahm mit einiger Abscheu die aus Vadoiten dritter Klasse geformten Objekte wahr, die weltlichen Erscheinungen bis ins Detail glichen. Sie blieb vor einem Torbogen stehen, der von funkelnden Diamanten umrahmt war und zu Ju Lissantos eigenem Palast führte.
Aufgewühlt versuchte Tenkara, die Rolle zu finden, die sie nun einnehmen musste, um überzeugend zu sein: Eine Spur verführerisch und hoffähig, gleichzeitig kaltblütig und entschlossen; so musste sie wirken, um ihn zu gewinnen. All diese Eigenschaften, das wusste sie, konnte sie aus ihrem Inneren heraufbeschwören. Auch jene Lügen, wie sie Jacks Aufenthalt in der Unteren Welt erklären konnte... Sie würde überzeugen, sie konnte überzeugen und Ju Lissanto würde ihrem Charme nicht widerstehen können! Vielleicht sollte sie ihn zunächst zu einer Lavadusche überreden, um ihn ein wenig in Stimmung zu bringen? Alles Weitere würde sich fügen…
Sie richtete sich auf und berührte das aus einem roten Jaspis geformte Löwenmaul an der Zunge. Die Zunge war mit stacheligen hellblauen Saphirkristallen überzogen und Tenkara zog die Hand schnell wieder zurück, als sie ein unangenehmes Kribbeln auf den Fingerspitzen spürte.
Der Löwe gab ein flüsterndes Brüllen von sich, das im Inneren des Raumes widerhallte. Von irgendwo hinter der obsidianfarbenen Tür nahm sie schlürfende Geräusche war und ihr wurde leicht übel. Auf dem Torbogen, der mit zehn Diamanten verziert war, leuchtete der erste Diamant auf; wahrscheinlich, um dem Gast das Warten kurzweiliger zu machen. Oder, überlegte Tenkara, um Macht und Reichtum zu demonstrieren!
Drei weitere Diamanten glommen nacheinander auf. Dann vier…, fünf. Als der sechste Kristall erstrahlte, wusste Tenkara, dass sie diese Tür nicht durchschreiten wollte.
Noch drei…, noch zwei…
Sie verkrampfte sich. Was war nur los mit ihr? Wie konnte sie überhaupt nur daran denken jetzt umzudrehen? Nie war sie verlegen gewesen, das zu tun, was getan werden musste, um ihren Plan, die Abs zur Befreiung zu führen, umzusetzen. Warum jetzt diese Schwäche? Sie wusste es nicht. Sie wusste nur, dass sie das, was sie vorhatte, nicht tun wollte.
Sie trat einen Schritt zurück und betrachtete die neun schimmernden Diamanten an dem Torbogen, die kühl und erhaben wirkten. Sie sind wie er, dachte sie, poliert, glatt, kantig und schneidend.
Es wird dich spalten, Tenkara!, sagte eine Stimme in ihrem Kopf eindringlich. Und wieder wanderten ihre Gedanken zurück zu Jack. »LEISTUNG und GEGENLEISTUNG? Und ihr wollt aufsteigen? Nichts habt ihr begriffen, rein gar nichts! Unsere Welt funktioniert so nicht!« Das waren Jacks Worte gewesen. Er würde das, was sie vorhatte, niemals für gut heißen, weil Leistung und Gegenleistung der falsche Weg waren, um ins Licht auszusteigen.
Sie glaubte nun, ihn verstanden zu haben. Sie starrte das schwarzglänzende Tor an, das sich langsam vor ihren Augen in silbrigen Staub auflöste, der wie Schneeflocken sachte zu Boden rieselte und ihre Füße mit Staub bedeckte. Und als Ju Lissantos Stimme aus dem Inneren des dunklen Palastes zu ihr herüber säuselte und sprach: »Tretet ein, Ten Karan«, hatte sie bereits auf dem Absatz kehrt gemacht und war aus der zweiten Ebene verschwunden.
Die Versammlung
Der Abend brach an und es wurde Zeit für die Ratsversammlung. Falfarev und Torfun hatten ihre Arbeit auf dem Vorplatz der Kathedrale beendet. Nach der Versammlung würden sie Hanriks Leichnam holen und ihn auf das Holzgestell bahren, um seine sterbliche Hülle dann dem Feuer zu übergeben. Ein Ritual, das stets in der Nacht durchgeführt
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