Abonji, Melinda Nadj
nächster
Zeit noch ein paar Mal sagen wird, von dem ich nicht weiss, wie ich ihn
verstehen soll: Wir haben hier noch kein menschliches Schicksal, das müssen wir
uns erst noch erarbeiten.
Und weil Mutter die Einzige
ist, die eine Ahnung vom Ganzen hat, vom ganzen Betrieb, muss sie überall
aushelfen, vor allem in der Küche, Vater, der in den ersten Wochen überfordert
ist, weil Koch gar nicht sein Beruf ist, er aber alles perfekt machen möchte,
nicht nur zuviel, sondern auch alles frisch kocht, und zwischendurch nippt er
am Kochwein, weil es so heiss ist, eine unerträgliche Hitze in dieser
Spielzeugküche! Das ist der Anfang vom Ende, wenn du trinkst, sagt Mutter auf
Ungarisch, das weisst du, am Abend meinetwegen, aber nicht in der Küche,
niemals, das hast du mir versprochen, ja, ich hab's dir versprochen, sagt Vater
kleinlaut, ich muss mich doch erst mal ein bisschen einleben hier; Dragana, die
schon morgens um sieben anfängt, ihren Walfischbauch gegen den Abwaschtrog
drückt, Salate rüstet, Gemüse zerkleinert (immer nach Knoblauch riecht, was ich
unangenehm finde), Dragana, die dauernd irgendetwas tut, die in den ersten
Wochen fast kein Wort gesprochen hat, ausser ja, isch gut, als Antwort, wenn Vater ihr
sagt, was sie als nächstes zu tun hat, ihre Einsilbigkeit, die sich schlagartig
ändert, als Glorija anfängt, bei uns zu arbeiten, Dragana und Glorija, die sich
in rasender Geschwindigkeit auf Serbokroatisch unterhalten; und Marlis?, sie
ist die Einzige der ehemaligen Angestellten, die bei uns bleibt, sie wäscht ab,
putzt, das rhythmische Klacken ihrer schweren, weissen Holzschuhe, das genauso
zu den Geräuschen der Küche gehört wie das Surren der Mikrowelle und das
gierige Saugen des Dampfabzugs. Und Mutter, meistens ist sie es, die mit
Schrubber, Eimer, Lappen, Plastikhandschuhen in die Toilette huscht, um die
Lache, die sich mindestens ein Mal wöchentlich neben dem Pissoir bildet,
aufzuwischen - Toilette kontrollieren, steht zuoberst auf Mutters Liste, so oft
es geht!
An einem ungewöhnlich kalten
Märztag, so kalt, dass man meinen könnte, es sei noch Winter, schäume ich
Milch. Ich sehe meine Hände, wie sie die Kanne halten und eine gleichmässige,
nicht allzu schnelle Bewegung in der Vertikalen vollführen, der Dampfhahn
fährt also langsam durch die blubbernde Milch, ich achte darauf, dass der
Dampfhahn den Kontakt zur Milch nicht verliert, weil sie sonst sofort überall
hinspritzt, die Kaffeemaschine sprenkelt, die Theke, die Hände, die Bluse. Und
das geschieht immer schneller, als man meint.
Weil ich viel Milchschaum
brauche, heisse Milch sich nicht mehr schäumen lässt, muss ich ständig
umleeren, der heissen Milch kalte zufügen, und ich denke daran, dass es sicher
eine plausible chemische Begründung gibt, warum sich heisse Milch nicht mehr
schäumen lässt, die kenne ich aber nicht. Dafür kenne ich den Trick mit dem
Mineralwasser, ein kleines bisschen Mineralwasser in die Milch, schon lässt
sie sich leichter schäumen; Mamika, die mir beigebracht hat, dem
Palatschinkenteig nicht nur Milch, sondern auch Mineralwasser beizugeben, dann
wird der Teig luftiger und brennt in der Pfanne nicht so leicht an.
Wenn ich mich zu sehr aufs
Schäumen konzentriere, gelingt es garantiert nicht. Deshalb stelle ich die
Milchkanne am Anfang unter den Dampfhahn, spanne in der Zwischenzeit den
Kaffee ein, bereite das Tablett vor mit Untertassen und Löffeln, ich verlasse
mich auf mein Ohr, das genau hört, in welchem Stadium sich die Milch befindet.
Es ist ein charakteristisches Geräusch, das immer höher wird, je heisser die
Milch ist, und mir, wenn es eine bestimmte Frequenz erreicht, anzeigt, dass ich
die Kanne jetzt in die Hände nehmen muss, will ich die Milch noch zum Schäumen
bringen — und ich schaue kurz aus dem Fenster, das sich vor mir, im Rücken der
Gäste befindet, wo der nackte Kastanienbaum seine Fäuste zeigt.
Obwohl ich im Inserat "Schweizerinnen
bevorzugt" geschrieben habe, haben sich ausschliesslich Ausländerinnen
gemeldet (ich, die es geschrieben hat, denke an uns, an die Familie Kocsis, was
es bedeutet, wenn wir Schweizerinnen bevorzugen. Nichts. Es bedeutet nichts, es
ist einfach so, sage ich mir), Glorija, die von allen Bewerberinnen noch am
ehesten als Schweizerin durchgeht, fast fliessend Deutsch spricht, also
Dialekt, Vertrauen erweckende Augen und gute Arbeitszeugnisse hat, so Mutter,
fängt Anfang März an, bei uns zu arbeiten, als Serviertochter, und Nomi und
ich,
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