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Abonji, Melinda Nadj

Abonji, Melinda Nadj

Titel: Abonji, Melinda Nadj Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tauben flieggen auf
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unglaublichen Torte zu verschönern,
ach, und jetzt hab ich den Schnaps und den Speck wieder vergessen!
    Und wir sitzen alle um den
Tisch, dicht gedrängt, ein greller Lichtkegel, der uns, unsere aufgeregt
umherwandernden Augenpaare beleuchtet, wir alle wollen schauen, sehen, was die
Jahre gebracht haben, die Zeit, wie sie vergangen ist!, und wie lange haben wir
uns nicht gesehen?, wie oft haben wir irgendwas ohne euch getan, wie viele
Gefühle fühlten wir ohne euch? Und die Zeit ist ein Sack, in dem alles mögliche
Platz hat, die Rosen wollten dieses Jahr nicht blühen, und das Mutterschwein
hat zwanzig Junge geworfen, die Jungen, die man vor der Mutter retten musste,
weil sie sie sonst zerquetscht hätte, und die Kanalisation, die immer noch vor
sich hinstinkt, und unsere lieben Herren da oben, deren Leben ein einziges,
leeres Versprechen ist!, aber lasst uns nicht von Politik sprechen, Onkel Piri
füllt die Schnapsgläser mit einem gekonnten Schwung, beeilt sich, das Glas zu
heben: Zur Feier des Tages soll Gott allen verzeihen, den Tagedieben, den
Strolchen, die mir neulich mein Fahrrad wie eine warme Semmel weggestohlen
haben! Ach, Kinder, Gott soll uns einen Tropfen gönnen, der uns das Herz wärmt
und nicht nur das Herz, lasst uns die Sorgen des Tages vergessen, die Politiker
sollen sich ans Bein pinkeln, wir haben was zu feiern, und wenn es das Letzte
ist, was wir tun! Bela, der sich nach ein paar Gläsern verabschiedet, sich entschuldigt,
hab morgen noch zu tun.
    Und in solchen Momenten, wenn
sich die Anzahl der Gläser in den Augen von Onkel Piri und Vater
widerspiegelt,  die Trinksprüche,  Beteuerungen, Flüche mit den auffliegenden
Armen, den immer tiefer hängenden Rauchschwaden eine kompakte Einheit bilden,
die Stimmung ein ausgeglichenes Wechselbad ist zwischen überbordender
Zärtlichkeit (Arme, Hände, die verschmelzen, Münder, die plötzlich aufeinander
zufliegen) und geniesserischer Wut (eine Faust, die den Tisch bestrafen muss), dann
wünsche ich mir, dass die Nacht und der Tag zusammengehören, so dass die Nacht
sich nicht an den nächsten Morgen verliert — und um uns noch besser an der
immer fiebriger werdenden Stimmung der Erwachsenen berauschen zu können,
verziehen Nomi und ich uns auf die Veranda, saugen uns am mit einem grünen
Moskitonetz überspannten Verandafenster fest, hören zu, staunen darüber, dass
sich unsere Eltern verwandeln, unsere Geheimsprache, mit der sie sich jetzt
fliessend, immer schneller unterhalten, Wörter brauchen, die wir noch nie aus
ihrem Mund gehört haben, und wenn das Glück einen Namen hat, dann müsste es
auch ein Gesicht haben, ein Gesicht, das in einem freien, leichten Singsang
erzählt.
     
    Ihr seid ganz schön verwöhnt
bei euch im Westen, Luxussorgen nenne ich das, wenn eure Eltern erzählen, dass
bei euch alles so teuer ist, sagt Bela und schiebt sich einen Zahnstocher in
den Mundwinkel, als er am nächsten Tag mit Nomi und mir auf der überdachten
Veranda sitzt, in der Mittagshitze, da unsere Eltern schlafen, im Innenhof kein
Schatten mehr zu sehen ist, die Hunde sich in ihre Hütte verzogen haben, das
Wasser in ihrem Blechnapf verdampft ist, es muss ja erst mal etwas da sein,
damit es teuer sein kann!, und Bela drückt mit seinem Daumen auf das Ventil
des Siphons, und das Wasser schiesst ins Glas, der Strahl ist so scharf, dass
er das Tischtuch bespritzt, Nomi und ich, die Bela bewundern müssen, als wären
wir eigens dafür erschaffen worden, wir hängen an seinen Lippen, weil er etwas
Furchtloses und Beunruhigendes hat (Bela, dessen Frisur mich an diejenige von
Limahl erinnert, einen englischen Pop-Sänger der 80er Jahre, der ihn, würde er
ihn kennen, bestimmt als warmen Bruder bezeichnete).
    Ihr habt ausserdem das Gefühl,
dass ihr immer in Sicherheit leben könnt, sagt Bela, so ein Trugschluss wäre
bei uns gar nicht möglich, und er setzt sich unseren Kopfhörer auf, drückt auf "play",
und die Musik übt offenbar keine Wirkung auf ihn aus; er wippt weder mit dem
Oberkörper noch mit den Beinen, statt mitzusingen klopft er aufs Zigarettenpäckchen,
klemmt sich eine Filter zwischen die Zähne. Seine Augen lösen sich von uns, ihr
Mädchen!, wandern himmelwärts, während er sich die Zigarette anzündet, den
Kopfhörer mit einer lässigen Handbewegung in den Nacken streift, das sind meine,
sagt er, zeigt mit der Filter zum wolkenlosen Himmel, der Walkman spielt also
ein Lied von irgendjemandem, der Bela nicht zu beeindrucken vermag, schaut

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