About a Boy
mich meinst?« »Nein, aber ich glaube, sie kann es sich denken.« »Wie das?« »Ich habe doch keine anderen Freunde.« »Weiß sie, dass du immer noch herkommst?«
»Irgendwie schon. Sie fragt mich nicht mehr, also schätze ich, sie hat nichts mehr dagegen.«
»Und es gibt wirklich niemanden, den du lieber fragen würdest?«
»Nein, natürlich nicht. Und wenn es wen gäbe, dürfte er nicht zu mir zum Weihnachtsessen kommen. Er würde zu sich nach Hause gehen. Nur müsste er nicht erst gehen, weil er ja bei sich zu Hause wohnt.«
Will fand die Diskussion deprimierend. Marcus sagte auf seine raffinierte, verdrehte Art nichts anderes, als dass er Will am Weihnachtsabend nicht alleine lassen wollte.
»Ich weiß noch nicht genau, was ich vorhabe.«
»Wo möchtest du denn lieber hingehen?«
»Nirgendwohin, aber … «
Normalerweise wurden alle Gesprächspausen, die es zu überbrücken galt, von Marcus überbrückt: Seine Konzentration war so geartet, dass er sämtliche »ähs«, »öhs« und »abers« als Stichworte nahm, radikal das Thema zu wechseln. Doch aus irgendeinem Grund wich er nun von seiner gewohnten Technik ab und sah Will durchdringend an. »Warum starrst du so?«, fragte Will schließlich.
»Ich starre nicht. Ich habe nur darauf gewartet, dass du die Frage beantwortest.«
»Ich habe sie beantwortet: ›Nirgendwohin‹ habe ich gesagt.« »Du hast gesagt: ›Nirgendwohin, aber‹ … Ich habe auf das gewartet, was nach dem ›aber‹ kommt.«
»Tja, gar nichts. Ich gehe Weihnachten nirgendwohin.«
»Dann kannst du ja zu uns kommen.«
»Ja, aber … «
»Aber was?«
»Hör auf, mich dauernd ›aber was‹? zu fragen.«
»Warum?«
»Weil das unhöflich ist.«
»Wieso denn?«
»Weil … ich offensichtlich Vorbehalte habe, Marcus. Darum
sage ich ständig ›aber‹. Ich bin offensichtlich nicht hundert
prozentig davon überzeugt, dass ich Weihnachten zu euch
kommen möchte.«
»Warum nicht?«
»Machst du Witze?«
»Nein.«
Das stimmte natürlich: Marcus machte niemals absichtlich Witze. Ein Blick in Marcus’ Gesicht genügte, um Will zu über zeugen, dass der Junge einfach neugierig war und diese Neugier längst nicht befriedigt war. Die Unterhaltung hatte für Wills Geschmack bereits viel zu weit geführt, und er befürchtete, schließlich die grausamste aller Wahrheiten aussprechen zu müssen: dass Marcus’ Mutter irre war, genau wie ihr Sohn; dass die beiden, selbst wenn man von ihrem Geisteszustand absah, so oder so ein Verliererpärchen waren; dass er sich kein trostloseres Weihnachtsfest vorstellen konnte; dass er tausendmal lieber auf seinen ursprünglichen Plan einer Privatorgie und auf das Gesamtwerk der Marx Brothers zurückgreifen würde, als mit einem von ihnen Eierpunsch zu trinken; dass jeder geistig gesunde Mensch ebenso empfinden würde. Was blieb ihm anderes übrig, wenn der Kleine für dezente Winke unempfänglich war? Außer vielleicht …
»Entschuldige, Marcus. Ich war unhöflich. Natürlich komme ich Weihnachten gerne zu euch.«
Das war auch eine Möglichkeit. Nicht die beste Möglichkeit, aber immerhin auch eine Möglichkeit.
Als er dort ankam, stellte sich heraus, dass sie nicht nur zu dritt waren, was ihm ungemein half. Er rechnete mit einer von Fionas unlogischen Gardinenpredigten, aber sie beließ es bei einem Blick; es war offensichtlich, dass sie die Feindseligkeiten vor den anderen Gästen nicht wieder aufnehmen wollte. Marcus’ Vater Clive war anwesend, dessen Freundin Lindsey und deren Mutter, insgesamt sechs Personen, die sich alle um den ausgezogenen Esstisch in der Wohnung quetschten. Will wusste nicht, dass die Welt so aussehen konnte. Er als Produkt einer zweiten Ehe, typisch Sechziger, lebte in dem Irrglauben, dass die Familienmitglieder nicht mehr miteinander sprachen, wenn eine Familie zerbrach, aber hier verhielt es sich ganz anders: Fiona und ihr Ex schienen auf ihre Beziehung zurückzublicken als das, was sie zusammengeführt hatte, und nicht als etwas, das furchtbar schief gegangen war und sie entzweit hatte. Es war, als sei Tisch und Bett zu teilen und ein gemeinsames Kind zu haben nichts anderes, als angrenzende Zimmer im selben Hotel zu bewohnen oder in dieselbe Schulklasse zu gehen: ein glücklicher Zufall, der ihnen eine lockere Freundschaft ermöglicht hatte.
Aber immer klappte das wohl nicht, überlegte Will, sonst gäbe es bei SPAT nur glückliche, wenn auch einander entfremdete Paare, die sich gegenseitig ihre Verflossenen und ihre Neuen und
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