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About Ruby

About Ruby

Titel: About Ruby Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Dessen
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hatte mitbekommen, wie ich mich hinlegte. Doch je mehr ich drüber nachdachte, umso plausibler erschien es   – leider   –, denn das war mittags gewesen und jetzt bereits später Nachmittag. Falls Nate also tatsächlich die Wahrheit sagte: Wie lange hatte ich bewusstlos und allein dort gelegen?
Wundert dich das?
Peytons Stimme hallte in meinem Kopf wider. Ich fröstelte, nein, mir rann der buchstäbliche Schauer über den Rücken. Fest schlang ich meine Arme um mich. Blickte aus dem Fenster. Häuser zogen verschwommen an uns vorbei, und ich versuchte, wenigstens eins zu entdecken, das ich schon einmal gesehen hatte. Als könnte ich mich auf diese Weise selbst wiedererkennen.
    »Was auch immer heute passiert ist«, meinte Nate, »ist vorbei, okay? Ich fahre dich jetzt heim. Es wird schon wieder alles.«
    Worauf mir zu meiner eigenen Verblüffung Tränen in die Augen stiegen. Heiße, bittere Tränen. Es war übel, wenn man in Verlegenheit gebracht wurde. Hart, sich zu schämen. Aber bemitleidet zu werden? Etwas Schlimmeres gab es nicht. Dass Nate automatisch annahm, alles würde sich zum Guten wenden, war natürlich logisch. In seiner Welt lief es so. Dort war er der nette Typ, der sich um alle Probleme kümmerte, damit man selbst sich keine Sorgen deswegen machen musste. Er lebte sein Leben, indem er den Menschen half und gute Taten vollbrachte. Vollkommen anders als ich. Ich war dreckig, ausgebrannt, kaputt. Plötzlich sah ich wieder Marshall vor mir, den Blick, den er mir zugeworfen hatte. Prompt pochte es in meinem Kopf noch heftiger.
    Als ob er meine Gedanken gehört, als ob er mitbekommen hätte, wie ich immer weiter abrutschte, meinte Nate: »Ist schon okay.«
    »Ist es nicht.« Krampfhaft blickte ich aus dem Fenster, während ich das sagte. »Du hast keine Ahnung. Kannst du gar nicht.«
    »Probier doch einfach mal, es mir zu erklären.«
    »Nein.« Ich schluckte, schlang die Arme noch enger um mich. »Außerdem ist es nicht dein Problem.«
    »Was soll das, Ruby? Wir sind doch Freunde.«
    »Hör auf damit«, erwiderte ich.
    »Warum?«
    »Weil es Blödsinn ist.« Nun wandte ich mich ihm zu. »Wir kennen einander nicht einmal richtig. Du wohnst bloß zufällig nebenan und nimmst mich mit zur Schule. Wie kommst du darauf, wir wären deshalb irgendwas?«
    »Schon gut.« Beschwichtigend hob er für einen Moment die Hände. »Sind wir eben keine Freunde.«
    Dafür war ich jetzt die Zicke. Schweigend fuhren wirweiter. Nur Roscoes Hecheln war im Wageninnern zu vernehmen. »Hör zu, ich weiß echt zu schätzen, was du heute für mich getan hast«, meinte ich schließlich. »Aber der Punkt ist . . . also, mein Leben und dein Leben sind vollkommen unterschiedlich. Meins ist das reinste Chaos. Du ahnst nicht, wie viele Macken ich habe.«
    »Macken hat jeder«, antwortete er ruhig.
    »Aber mit meinen nicht zu vergleichen.« Ich dachte daran, wie Olivia im Englischunterricht entnervt die Arme in die Höhe geworfen hatte:
Ja, erzähl uns von DEINEM Schmerz, DEINEM großen Leid. Wir können es kaum noch erwarten.
»Weißt du eigentlich, warum ich jetzt bei Cora und Jamie wohne?«
    Er warf mir einen kurzen Blick zu. »Nein.«
    »Weil meine Mutter mich verlassen hat.« Fast blieben mir die Worte im Hals stecken, doch ich atmete tief durch und fuhr fort: »Vor ein paar Monaten hat sie ihren Krempel zusammengepackt und ist abgehauen, während ich in der Schule war. Wochenlang habe ich allein gelebt, bis die Vermieter dahinterkamen, mich verpetzten und ich ein Fall fürs Jugendamt wurde. Die riefen dann bei Cora an. Aber Cora hatte ich seit zehn Jahren nicht mehr gesehen. Denn Cora war auch abgehauen, um aufs College zu gehen. Und hatte sich nie wieder bei mir gemeldet.«
    »Tut mir leid.« Was für eine mechanische Antwort. Er machte es sich so einfach.
    »Das ist nicht der Grund, warum ich dir davon erzähle.« Seufzend schüttelte ich den Kopf. »Kannst du dich an das Haus erinnern, zu dem du mich hingefahren hast? Da wohnen keine Freunde von mir, sondern   –«
    »Du.« Er beendete den Satz für mich. »Weiß ich.«
    Ich sah ihn erstaunt an. »Dir war das klar?«
    »Du trägst einen Schlüssel an einer Kette um den Hals«, meinte er gelassen. Betrachtete für einen Moment den Schlüssel. »Es war nicht so schwer zu erraten.«
    Das brachte mich wieder total durcheinander. Und ich schämte mich. Ich hatte geglaubt, es wäre mir an jenem Tag gelungen, zumindest das vor Nate geheim zu halten. Etwas zu verbergen, bis ich

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