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About Ruby

About Ruby

Titel: About Ruby Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Dessen
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ging, welches er erschaffen hatte, und sei es nur ein paar Minuten lang. Sich vergewissern, dass es einen weiteren Tag überlebt hatte.
    Die Temperaturen sanken kontinuierlich, die Fische hielten sich dicht über dem Grund des Teichs auf. Bald würden sie ganz unter den Felsen und Blättern verschwinden, die den Boden bedeckten, damit sie den langen Winter besser überstanden. »Holst du sie nicht rein?«, hatte ich ihn gefragt, als er das zum ersten Mal erwähnte.
    Jamie hatte den Kopf geschüttelt. »So entspricht es eher den wahren Bedingungen in der Natur«, erklärte er. »Sobald das Wasser friert, tauchen sie buchstäblich ab, gehen ganz nach unten, um dort bis zum Frühjahr zu überwintern.«
    »Sterben sie nicht?«
    »Das hoffe ich doch sehr.« Er zupfte an einem Büschel Lilien herum. »Idealerweise verharren sie in einer Art . . .Dämmerzustand. Da sie die Kälte sowieso nicht vertragen, versuchen sie gar nicht erst, groß aktiv zu sein. Wenn es wärmer wird, kommen sie wieder nach oben.«
    Dieses Verhalten kam mir in dem Moment, als wir darüber redeten, ziemlich seltsam vor. Und war außerdem ein weiterer, triftiger Grund, sein Herz nicht zu sehr an seine Fische zu hängen. Doch mittlerweile begriff ich, worin der Reiz bestand, sich zu verziehen. Möglichst unauffällig abzuwarten, bis draußen keine so lebensfeindliche Atmosphäre mehr herrschte. Und erst dann wieder aufzutauchen. Schade, dass ich diese Option nicht hatte.
    »Er wird nicht von sich aus auf dich zukommen«, sagte Cora. Sie saß an der Küchentheke, blätterte durch eine Zeitschrift. Die Klamotten, die ich am Vortag getragen hatte, waren bereits gewaschen, getrocknet und lagen zusammengefaltet neben ihr auf der Theke   – zumindest etwas, das leicht wieder in Ordnung gebracht werden konnte. »Wenn du mit ihm sprechen willst, musst du schon von dir aus auf ihn zugehen.«
    »Das schaffe ich nie.« Ich dachte daran, wie sauer er am Abend vorher auf mich gewesen war. »Er hasst mich.«
    »Nein.« Sie blätterte eine weitere Seite um. »Er ist bloß enttäuscht von dir.«
    Ich blickte wieder zu Jamie in den Garten; er beugte sich gerade über den Wasserfall, betrachtete eingehend die Felsen. »Was bei ihm noch viel schlimmer ist, für mein Gefühl.«
    Sie blickte auf, lächelte mich mitfühlend an. »Ich weiß.«
    Nachdem ich an diesem Morgen aufgewacht war, hatte ich   – abgesehen davon, dass ich die horrormäßigen Kopfschmerzen wahrnahm, die mich quälten   – als Erstes ausgiebig darüber nachgedacht, was genau gestern eigentlich passiert war, und versucht, die Ereignisse irgendwie zu sortieren.An meinen Streit mit Cora konnte ich mich gut erinnern, an meine Fahrt zur Schule und zur Jackson High ebenfalls. Doch von dem Zeitpunkt an, da ich auf meinem Erinnerungstrip die Lichtung erreichte, wurde alles ziemlich vage.
    Andererseits waren mir einige Dinge sehr klar im Gedächtnis geblieben. Zum Beispiel, wie krass es sich anfühlte, Jamie überhaupt einmal wütend zu erleben   – und dann auch noch wütend auf mich. Oder unvermittelt das Gesicht meiner Mutter in meinem eigenen zu sehen; völlig verzerrt hatte es mich aus dem Spiegel angestarrt. Und ich wusste auch noch genau, dass mich Cora, nachdem ich ihre Hand schließlich und tatsächlich ergriffen hatte, schweigend nach oben in mein Zimmer führte, mir beim Ausziehen half, neben der Dusche stehen blieb, während ich mich wie in Trance duschte und meine Haare wusch. Wie sie mir meinen Schlafanzug gab und mich am Ende ins Bett brachte, als wäre ich noch ein kleines Kind. Jedes Mal, wenn ich versuchte, etwas zu ihr zu sagen, schüttelte sie bloß abwehrend den Kopf. Das Letzte, an das ich mich erinnern konnte, waren die Umrisse ihrer dunklen Gestalt, die sich wie ein Scherenschnitt vor meinem Fenster, durch das schwach ein Lichtschein hereindrang, abhoben, während sie auf meiner Bettkante saß, bis ich einschlief. Wie lange sie bei mir blieb, weiß ich nicht genau, erinnerte mich aber außerdem daran, dass ich zwischendurch wohl mal kurz wach wurde und mich darüber wunderte, dass sie immer noch da hockte.
    Hinter mir öffnete sich die Terrassentür. Jamie kam herein, Roscoe im Schlepptau. Ich sah ihm entgegen, doch er erwiderte meinen Blick nicht, ging brüsk an mir vorbei, stellte seinen Becher ins Spülbecken. »Ich finde«, begann Cora behutsam, »wir sollten uns vielleicht alle   –«
    Er schnitt ihr das Wort ab: »Ich muss los, ins Büro.« Schnappte sich sein Handy und

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