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About Ruby

About Ruby

Titel: About Ruby Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Dessen
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Familie, in die ich hineingeheiratet habe. Und hoffentlich habe ich irgendwann noch eine. Unsere Familie, die wir gründen, Jamie und ich.«
    Jetzt war es
mir
unangenehm, dass ich das Thema so kurznach Jamies Ausflug ins Fettnäpfchen angesprochen hatte. »Ja, habt ihr bestimmt«, sagte ich daher rasch.
    Sie drehte sich um, verschränkte die Arme vor der Brust. »Ich hoffe es wirklich. Aber genau das ist der Punkt, oder nicht? Familie ist nichts Statisches, nichts absolut Festgelegtes und Unveränderliches. Leute heiraten, bekommen eine neue Familie, lassen sich scheiden, trennen sich damit auch von dieser Familie wieder. Sie werden geboren, sie sterben. Ständig entwickelt sich etwas Neues, verwandelt sich in etwas anderes. Selbst das Foto von Jamies Familie: Es zeigt sie nur, wie sie an dem Tag war, an dem es aufgenommen wurde. Schon am nächsten hatte sich vermutlich etwas geändert. So ist das einfach.«
    Aus dem Wohnzimmer ertönte unvermittelt lautes Gelächter. »Eine gute Definition«, meinte ich.
    »Findest du?«
    Ich nickte. »Bisher die beste.«
    Etwas später   – die Küche hatte sich mit Leuten gefüllt, die mehr Wein wollten, und Kindern, die mit Roscoe spielten   – verweilte mein Blick in dem ganzen Trubel auf meiner Schwester. Denn ich dachte noch einmal darüber nach, was sie gesagt hatte: dass man natürlich automatisch davon ausgehen würde, unsere Definitionen seien nahezu identisch, da wir aus demselben Stall stammten. Trotzdem stimmte das nicht ganz. Wir alle haben eine ähnliche Vorstellung von der Farbe Blau. Doch wenn man uns auffordern würde, sie genauer zu beschreiben, gäbe es viele unterschiedliche Möglichkeiten, das zu tun: das Meer, Lapislazuli, der Himmel, die Augen von jemandem. Unsere Erklärungen wären so verschieden wie wir selbst.
    Ich warf einen Blick ins Wohnzimmer. Jamies Mutter saß mittlerweile allein auf dem Sofa; vor ihr auf dem Tisch lagdie Anzeige. Als ich mich zu ihr gesellte, rückte sie sofort zur Seite, um mir Platz zu machen. Einen Moment lang betrachteten wir die Anzeige schweigend gemeinsam.
    »Ist bestimmt ein bisschen komisch«, sagte ich schließlich. »Wenn man weiß, dass dieses Foto demnächst überall zu sehen sein wird.«
    »Kann sein.« Sie lächelte. Für mich sahen sie und Jamie einander von allen am ähnlichsten. »Ich bezweifle allerdings, dass mich irgendwer erkennen wird. Das ist sehr lange her.«
    Ich schaute wieder auf das Bild, besser gesagt auf sie, in der Mitte. »Wer ist das?« Ich deutete auf die älteren Frauen, die rechts und links von ihr standen.
    »Ah, die zwei.« Sie beugte sich ein wenig vor. »Meine Großtanten. Ganz links, das ist Carol, daneben Jeannette. Und auf meiner anderen Seite Alice.«
    »War das bei euch daheim?«
    »Bei meinen Eltern. Auf Cape Cod«, antwortete sie. »Schon lustig, wenn ich mir die Kinder in der ersten Reihe anschaue. Heute sind sie alle selbst Eltern. Und meine Tanten sind natürlich mittlerweile alle tot. Trotzdem kommen mir alle noch so vertraut vor, genauso wie sie sind. Beziehungsweise damals waren. Als wäre es gestern gewesen.«
    »Ihr seid eine große Familie.«
    »Richtig.« Sie nickte. »Und es hat Zeiten gegeben, da habe ich mir gewünscht, es wäre anders. Schon allein deshalb, weil die Wahrscheinlichkeit, dass irgendwer mit irgendwem anders nicht auskommt, größer wird, je mehr Familienmitglieder es gibt. Das Konfliktpotential wächst einfach.«
    »In kleinen Familien passiert das aber auch«, wandte ich ein.
    »Ja, da hast du recht.« Sie blickte mich forschend   – aber nicht unangenehm   – an.
    »Weißt du noch genau, wer wer ist auf dem Foto?«, fragte ich.
    »Natürlich«, erwiderte sie. »Bei jedem Einzelnen.«
    Einen Moment lang betrachteten wir schweigend die vielen Gesichter. Bis Elinor unvermittelt fragte: »Soll ich es dir beweisen?«
    Ich blickte auf. Sie an. »Klar«, antwortete ich. »Warum nicht?«
    Sie lächelte, zog den Fotokarton ein wenig näher zu sich heran. Ich überlegte kurz, ob ich sie für mein Projekt vielleicht auch nach ihrer Definition von Familie fragen sollte. Doch während ihr Finger über das Papier glitt, langsam auf ein Gesicht nach dem anderen zeigte, bei jedem erklärte, wer wer war, wo er oder sie steckte, was sie machten, wurde mir klar, dass vielleicht genau das ihre Antwort war. All die Namen aneinandergereiht, wie Perlen auf einer Kette. Sie kamen zusammen, drifteten wieder auseinander, doch sie waren und blieben eine Familie.
    ***
    Cora

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