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About Ruby

About Ruby

Titel: About Ruby Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Dessen
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verprügelt«, meinteich langsam. »Als wir jünger waren. Cora hat mehr abgekriegt als ich, aber auch mich hat es gelegentlich ganz schön erwischt.«
    »Und?« Er wich meinem Blick aus.
    »Man musste immer darauf gefasst sein, wusste nie, wann es losgehen würde. Vor allem das habe ich gehasst.«
    Nate schwieg einen Moment lang. Schließlich sagte er: »Schau mal, mein Vater hat bloß . . . Er ist eben ein jähzorniger Mensch. War er schon immer. Er rastet aus, schmeißt Sachen durch die Gegend. Alles heiße Luft.«
    »Aber schlägt er dich auch?«
    Ein Achselzucken. »Ab und an. Wenn er total außer sich ist. Kommt allerdings nicht häufig vor.« Er bückte sich, hob das Regal an, schob es wieder an die Wand.
    »Ich habe trotzdem das Gefühl, er ist extrem streng und hart zu dir. Zum Beispiel, dass du ihn anwiderst, das war   –«
    Nate unterbrach mich: »Lass stecken. Das war noch gar nichts.« Er stellte die Farbdosen auf das unterste Regalbrett. »Du hättest ihn bei den Schwimmwettbewerben erleben sollen. Er ist das einzige Elternteil, das je von der Tribüne verbannt wurde, und zwar lebenslänglich. Was ihn nicht mundtot gemacht hat, im Gegenteil. Er hat einfach von draußen, von der anderen Seite der Absperrung her, weitergebrüllt.«
    Ich dachte an den Tag auf dem Schulhof, als dieser Typ Nate auf das Thema angesprochen hatte. »Bist du deshalb ausgestiegen?«
    »Unter anderem.« Er hob die Flasche mit dem Glasreiniger auf. »Aber wie schon gesagt   – ist keine große Sache, ehrlich. Ich komme gut damit klar.«
    Gut damit klarkommen. Das hatte ich auch geglaubt. »Hat deine Mutter eine Ahnung, was hier abgeht?«
    »Sie weiß, dass er ein Disziplin-Fanatiker ist.« An der Art und Weise, wie er das zusammengesetzte Wort aussprach   – so gedehnt, er kaute buchstäblich auf den Silben herum   –, merkte man, dass er es schon sehr oft und mit einer ganz bestimmten Betonung gehört hatte. »Sie tendiert dazu, die Dinge ein wenig . . . einseitig wahrzunehmen. Mit Scheuklappen sozusagen, nach dem Motto: Was ich nicht weiß . . . Außerdem hat sie mich ja genau aus dem Grund hierher zurückgeschickt: Weil auch sie fand, Disziplin sei das, was ich dringend bräuchte.«
    »Aber
so was
braucht niemand«, hielt ich dagegen.
    »Mag sein. Ich kriege es eben trotzdem, so oder so.«
    Er lief zur Tür, öffnete sie. Ich folgte ihm in die Küche. Er trat an die Theke, nahm den Schlüssel, den ich einige Stunden zuvor in der Hand gehalten hatte. Ich konnte mich noch so gut daran erinnern, wie ich ihn auf meiner Handfläche hatte kreiseln lassen, wie er ihn mir abgenommen und zurück auf die Theke gelegt hatte, statt ihn wieder am Schlüsselbund zu befestigen. Fühlte mich plötzlich mitschuldig. Wodurch ich noch mehr zu einem Teil dieses ganzen Schlamassels wurde als ohnehin schon.
    »Du solltest mit jemandem darüber reden«, sagte ich, während er den Schlüssel in die Tasche steckte. »Selbst wenn er dich nicht ständig verprügelt   – es ist trotzdem falsch.«
    »Und dann? Kommt das Jugendamt und übernimmt die Verantwortung für mich. Wer weiß, wo ich dann lande? Oder ich werde gleich zu meiner Mutter zurückgeschickt. Na, die wird sich freuen. Nein danke.«
    »Du hast also schon darüber nachgedacht?«
    »Heather hat darüber nachgedacht. Ausgiebig.« Er hob die Arme, rieb sich mit beiden Händen übers Gesicht. »Eshat sie völlig fertiggemacht. Aber sie hat eben im Grunde nichts kapiert. Meine Mutter hat mich rausgeschmissen. Mein Vater hat mich zumindest bei sich aufgenommen. Ist ja nicht so, als hätte ich unendlich viele Alternativen.«
    Ich dachte an Heather, an jenen Tag, als wir bei ihr eingekauft hatten.
Ich freue mich, dass ihr Freunde seid
, hatte sie gesagt. »Sie macht sich Sorgen um dich«, meinte ich. »Immer noch.«
    »Aber mir geht es gut.« Ich konnte gar nicht anders, als jedes Mal leicht zusammenzuzucken, wenn er das sagte. »In sechs Monaten habe ich meinen Schulabschluss in der Tasche. Danach werde ich als Trainer oben im Norden in einem Schwimmcamp jobben, muss irgendwo einen Studienplatz ergattern   – und bin weg.«
    »Weg«, wiederholte ich.
    »Ja«, antwortete er. »College oder was weiß denn ich. Alles, nur nicht hierbleiben.«
    »Frei und unabhängig.«
    »Bingo!« Er schaute mich an. Und ich sah uns beide wieder vor mir. Wie wir genau an derselben Stelle gestanden hatten, ein paar Stunden zuvor, und er mir den Schlüssel aus der Hand nahm. In dem Moment war ich so dicht an

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