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About Ruby

About Ruby

Titel: About Ruby Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Dessen
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»Wo gehen wir denn hin?«, fragte ich gedehnt.
    »Wir verteilen Geschenke in der Nachbarschaft«, antwortete Jamie, als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt. »Sie liegen unten im Flur parat. Auf geht’s!«
    Er stürmte, Zipfelmütze in der Hand, beschwingt an mir vorbei und lief die Treppe hinunter. Seine Stiefel machten
bumm, bumm, bumm
auf dem Teppichboden. Ich sah Cora so lange scharf an, bis sie meinen Blick schließlich notgedrungen erwiderte. »Tut mir leid.« Was sie anscheinend wirklich ehrlich meinte. »Aber letztes Jahr war ich dran.«
    Und so kam es, dass ich   – zusammen mit Weihnachtsmann Jamie und Bimmelglöckchen-Roscoe   – an einem Heiligabend um acht in
Wildflower Ridge
in der hehren Absicht unterwegs war, Weihnachtsstimmung zu verbreiten. Oder, um es aus einer leicht veränderten Perspektive zu betrachten:Ich spazierte durch die Kälte, die nach der ungewöhnlichen Wärmeperiode inzwischen heftig zugeschlagen hatte, störte andere Menschen bei ihren privaten Weihnachtsfestivitäten und erschreckte Autofahrer, die es zufällig wagten, die Straße ebenfalls zu benutzen.
    Nach den ersten paar Häusern waren wir ein eingespieltes Team: Ich klingelte, ließ Jamie sofort den Vortritt, hielt mich mit Roscoe im Hintergrund, bis die Tür geöffnet wurde, und sprang nur ein, wenn Jamie beim Verteilen der Geschenke   – überwiegend Plüschtiere und Schachteln mit gestreiften Mini-Spazierstöcken aus Zucker   – Hilfe brauchte. Zwar ernteten wir ein paar misstrauische Blicke, und ein paar Leute machten uns vorsichtshalber gar nicht erst auf, obwohl sie eindeutig daheim waren. Doch die meisten schienen sich über unseren unverhofften Besuch zu freuen, vor allem die Kinder. Nach ungefähr einer Stunde und drei Straßen weiter waren die Geschenke daher bereits so gut wie weg.
    »Wir haben vielleicht noch genug für zwei weitere Stationen«, meinte Jamie. Wir standen an der Ecke bei Nates Haus und warteten auf Roscoe, der an einem Briefkasten sein Geschäft verrichtete; die Glöckchen bimmelten leise vor sich hin. »Welche sollen wir nehmen, was meinst du? Möchtest du vielleicht den Cross’ etwas bringen?«
    Ich blickte zum Haus der Cross’ hinüber; abgesehen von ein paar erleuchteten Fenstern auf der Rückseite war es dunkel. »Weiß nicht«, meinte ich. »Nate gehört nicht gerade zu deiner Zielgruppe. Vielleicht sollten wir uns Familien mit jüngeren Kindern aussuchen.«
    »Mach ich.« Jamie griff in seinen so gut wie leeren Weihnachtsmannsack. »Aber du gehst eben vorbei und bringst ihm wenigstens ein paar von den Spazierstockbonbons. Wir treffen uns wieder hier, einverstanden?«
    »Okay.« Ich reichte ihm Roscoes Leine. Er nahm sie, warf sich den Sack malerisch über die Schulter   – die Weihnachtsmannpolizei wäre sehr zufrieden gewesen   – und überquerte die Straße. An dem Haus, das er ansteuerte, waren auf beiden Seiten der Eingangsstufen hell erleuchtete Schneeflocken angebracht.
    Ich steckte die Schachtel mit den Spazierstöcken in meine Tasche, ging die Auffahrt entlang auf Nates Haus zu. Die Luft, die ich einatmete, war kalt. Im Prinzip hatte ich selbst schon darüber nachgedacht, ihm etwas zu Weihnachten zu schenken. Hatte mir sogar ein, zwei Sachen überlegt. War dann allerdings wieder davor zurückgescheut, weil ich nicht genau wusste, ob ich   – sogar oder vielleicht auch gerade wegen jener Nacht im Pool   – schon weit genug für eine solche Geste wäre, die ja immerhin etwas bedeutete. Nicht ganz ohne war. Andererseits war mir seitdem klar geworden, dass sich mit Nate eigentlich immer alles wie selbstverständlich entwickelte, leicht anfühlte   – genauso wie es leicht gewesen war zuzulassen, dass er meine Hand nahm und mich mit sich unter die Wasseroberfläche zog. Man konnte vermutlich mit niemandem
alles
teilen. Aber ich gelangte allmählich zu der Erkenntnis, dass das,
was
uns mittlerweile verband, vielleicht schon reichte. Außerdem war Weihnachten das Fest der Hoffnung   – vor allem der Hoffnung. Jedenfalls war mir das mal beigebracht worden. Nate hatte mir schon so viel gegeben. Und ich war endlich bereit, mich zu revanchieren. Deshalb trat ich an die Haustür. Klingelte.
    Als er öffnete, wusste ich sofort, dass etwas nicht stimmte. Ich sah es an seinem Gesichtsausdruck: überrascht, ja alarmiert. Merkte es an der Art, wie er spontan die Tür wieder ein wenig zuschob. Denn diese Taktik   – als Reaktion auf zum Beispiel Zeugen Jehovas oder

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