About Ruby
seine eigenen handelte. Da er jeden Morgen auf engem Raum mit zwei leidtragenden Mitmenschen zusammengepfercht zur Schule fuhr, ergaben sich für ihn schier endlose Möglichkeiten, sich zu amüsieren. Es reicht vermutlich, wenn ich andeute, dass wir immer wussten, was er zum Frühstückgegessen hatte. Obwohl schon fast Winter war, hatte ich immer das Fenster auf. Nate ebenfalls.
Als ich allerdings an dem Montag nach Coras Party um halb acht in Nates Wagen stieg, fiel mir sofort auf, dass irgendetwas anders war als sonst. Und eine Sekunde später wurde mir auch bewusst, was: Auf der Rückbank saß niemand.
»Wo ist Gervais?«, fragte ich.
»Beim Arzt«, antwortete Nate.
Ich nickte, lehnte mich auf meinem Sitz zurück und machte es mir bequem. Herrlich, eine Fahrt ohne blöde Kommentare oder ähnliche Gemeinheiten. Anscheinend merkte man mir meine Erleichterung deutlich an, denn plötzlich sagte Nate: »Weißt du, so übel ist er nun auch wieder nicht.«
»Machst du Witze?«
»Okay, ich gebe zu, es ist nicht immer ganz einfach mit ihm«, sagte er.
Ich verdrehte die Augen. »Hör auf. Er ist der Horror!«
»Du übertreibst.«
»Er stinkt.« Ich hielt aufzählend einen Finger hoch. Und dann den zweiten: »Er ist unverschämt. Mit seinen Rülpsern könnte man Tote aufwecken. Und falls er je noch einmal etwas über meine Bücher, Zensuren oder Kurse von sich gibt, werde ich –«
Doch plötzlich merkte ich, dass Nate mich ansah, als wäre ich verrückt geworden. Deshalb brach ich mitten im Satz ab. Einen Augenblick lang herrschte Stille im Auto.
Schließlich brach Nate das Schweigen. »Eigentlich schade, dass du so denkst. Ich vermute nämlich, dass er dich mag.«
Ich warf ihm einen ungläubigen Blick zu. »Hast du schon vergessen, dass er neulich zu mir sagte, ich sei fett?«
»Er hat nicht gesagt, du seist
fett
«, erwiderte Nate. »Sondern bloß ein wenig rundlich.«
»Wo ist da der Unterschied?«
»Außerdem glaube ich, du vergisst gelegentlich, dass Gervais erst zwölf ist.«
»Ich versichere dir, das vergesse ich keine Sekunde lang.«
»Und zwölfjährige Jungs sind nicht gerade ein Ausbund an Eleganz und Geschicklichkeit, wenn es um die Damenwelt geht«, fügte er hinzu.
»›Ein Ausbund an Eleganz und Geschicklichkeit, wenn es um die Damenwelt geht‹?«, wiederholte ich leicht spöttisch. »Bist du auch noch zwölf oder warum drückst du dich so bescheuert aus?«
Er wechselte die Spur und bremste, weil wir uns einer roten Ampel näherten. »Er ärgert dich«, sagte er ganz langsam, als wäre ich die Doofe hier, »
weil
er dich mag.«
»Gervais kann mich nicht ausstehen«, sagte ich laut und voller Nachdruck.
»Wie du meinst.« Die Ampel schaltete auf Grün. »Aber mit Heather hat er nie auch nur ein Wort gewechselt, als sie noch mit uns mitgefahren ist.«
»Nicht?«
»Nein. Er hockte bloß hinten und furzte. Ohne jeden Kommentar.«
»Reizend«, meinte ich.
»Stimmt.« Nate schaltete einen Gang runter, denn wir fuhren schon wieder auf eine rote Ampel zu. »Ich will damit bloß sagen, vielleicht möchte er dein Freund sein, weiß aber nicht, wie er es anstellen soll. Deshalb behauptet er, du würdestriechen wie ein Baum oder wärst rundlich. Kids tun so was.«
Ich verdrehte die Augen. Blickte aus dem Fenster. »Warum sollte Gervais mit mir befreundet sein wollen?«
»Warum nicht?«
»Weil ich kein netter Mensch bin«, antwortete ich.
»Nicht?«
»Willst du damit sagen, du hältst mich für einen netten Menschen?«
»Ich würde nicht sagen, dass du nicht nett bist.«
»Ich schon«, erwiderte ich.
»Echt?«
Ich nickte.
»Aha. Interessant.«
Die Ampel sprang um. Wir fuhren weiter.
»Was meinst du mit ›interessant‹?«, fragte ich.
Er wechselte die Spur. Zuckte die Schultern. »Nur, dass ich dich nicht so sehe. Ich meine, du bist vielleicht ein bisschen reserviert. Wachsam, ja, beinahe misstrauisch, das auf jeden Fall. Aber nicht un-nett.«
»Möglicherweise kennst du mich einfach nicht gut genug.«
»Möglicherweise.« Er nickte. »Aber wenn jemand grundsätzlich nicht nett ist, kriegt man das eigentlich ziemlich schnell mit. Wie bei Körpergeruch. Der lässt sich auf Dauer auch nicht übertünchen.«
Wir fuhren auf eine weitere Ampel zu. Ich überlegte einen Moment. »Heißt das, als wir uns zum ersten Mal begegnet sind, nachts am Zaun«, meinte ich schließlich, »hast du da gedacht, ich wäre nett?«
»Ich habe jedenfalls nicht gedacht, du wärst es nicht«, entgegnete
Weitere Kostenlose Bücher