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About Ruby

About Ruby

Titel: About Ruby Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Dessen
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er.
    »Obwohl ich nicht besonders nett zu dir war.«
    »Du wolltest über einen Zaun klettern, um abzuhauen. Ich hab’s nicht persönlich genommen.«
    »Ich habe mich nicht einmal dafür bedankt, dass du mich gedeckt hast.«
    »Na und?«
    »Hätte ich aber tun sollen. Zumindest hätte ich am nächsten Tag nicht so ätzend zu dir sein dürfen.«
    Achselzuckend setzte Nate den Blinker. »Halb so schlimm.«
    »Doch, es war ziemlich daneben«, antwortete ich. »Außerdem musst du nicht immer zu allen so ultranett sein.«
    »Bin ich aber«, erwiderte er. »So ist das eben. Ich bin quasi zwanghaft nett.«
    Ja, das war er in der Tat. Und es war mir von Anfang an aufgefallen, schon in jener Nacht am Zaun. Denn auch das war etwas, das sich nicht verbergen ließ. Vielleicht hätte ich genau jetzt versuchen sollen oder können, Nate ein wenig genauer zu erklären, warum ich so war, wie ich war. Doch in diesem Moment beugte er sich vor, schaltete das Radio ein und drehte am Senderknopf, bis er WCOM gefunden hatte, einen Lokalsender, den wir im Prinzip jeden Morgen hörten. Die Moderatorin, ein Mädchen namens Annabel, verkündete gerade Uhrzeit und Temperatur. Dann legte sie ein Lied auf, irgendwas Poppiges zum Tanzen. Nate drehte die Lautstärke auf und der Song begleitete uns bis zur Schule.
    Nachdem wir ausgestiegen waren, liefen wir zusammen über den Schulhof, bis ich wie jeden Morgen abbog, um zu meinem Spind zu gehen, während er das Gebäude ansteuerte, in dem seine erste Unterrichtsstunde stattfand. Nachdem ich einige Bücher in meinen Spind gestopft und ein paar andere herausgenommen hatte, schloss ich die Tür,warf mir meinen Rucksack über die Schulter. Jenseits des Schulhofs konnte ich sehen, wie Nate sich unter die Leute gemischt hatte, die in seinem Kurs waren und gerade ins Klassenzimmer strömten, unter anderem Jake Bristol und zwei weitere Typen. Als Nate sich näherte, hob Jake die Hand, um ihm High five zu geben, während die beiden Übrigen ihn durchwinkten nach dem Motto: Beeil dich, Blödmann. Ich war selbst spät dran, hatte eigentlich anderes im Kopf. Trotzdem blieb ich stehen und sah zu, wie Nate lachend im Inneren des Gebäudes verschwand. Wie die drei anderen sich prompt anschlossen und ihm folgten. Erst dann wandte ich mich ab und ging davon.
    ***
    »Okay, Leute.« Energisch klatschte Ms Conyers in die Hände. »Lasst uns endlich loslegen. Ihr habt eine Viertelstunde. Ab jetzt. Fangt an, eure Fragen zu stellen.«
    Es wurde zunehmend lauter im Klassenzimmer, als sich nacheinander so ziemlich alle erhoben und mit ihren Notizbüchern durch den Raum bewegten. Ich wäre am liebsten sitzen geblieben und zusammengebrochen, schließlich hatte ich es gerade mit Ach und Krach geschafft, die Prüfungen zum Thema
David Copperfield
(zehn umfangreiche Begriffsklärungen, zwei Essays) zu überstehen. Aber an Zusammenbrechen war nicht zu denken: Jetzt sollten wir unsere Mitschüler interviewen, als Teil und Startschuss unseres Projektes über »mündliche Erzählung«. Sollten die anderen nach ihren Definitionen unserer jeweiligen Begriffe fragen. Im Prinzip war das nicht schlecht, da ich vermutlich jede Art von Unterstützung brauchen würde, die ich kriegen konnte. Denn meine eigene Definition des mir zugeteilten Begriffs   – Familie   – wechselte beinahe stündlich.
    Mittlerweile wohnte ich seit fast zwei Wochen bei Cora und begann allmählich, mich daran zu gewöhnen. Wir waren noch weit entfernt von ideal, aber wir spielten uns langsam aufeinander ein, sowohl was den Tagesablauf als auch was unausgesprochene Regeln in puncto Verhalten betraf, und entwickelten sogar so etwas wie gegenseitiges Verständnis füreinander. Zum Beispiel hatte ich mich damit abgefunden, dass Abhauen, zumindest vorläufig, nicht zu meinem Vorteil wäre, meine Reisetasche deshalb endlich ausgepackt und den Inhalt in die gigantischen, leeren Schubladen und Schränke in meinem Zimmer geräumt. Mich darüber hinaus im Haus weiter auszubreiten, schaffte ich allerdings noch nicht   – sobald ich heimkam, trug ich meinen Rucksack daher nach oben in mein Zimmer. Oder stand neben dem Trockner, kurz bevor das Programm sich seinem Ende zuneigte, damit ich meine Sachen sofort falten konnte, anstatt sie in der Waschküche rumliegen zu lassen. Schließlich war es ein sehr großes Haus. Wer weiß, wie schnell hier etwas verloren gehen konnte.
    Nach der Zeit im gelben Haus fühlte es sich immer noch schräg an, von so viel Raum und

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