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About Ruby

About Ruby

Titel: About Ruby Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Dessen
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sah ich einen strahlend blauen Himmel. Ich befand mich nach wie vor auf der Lichtung, doch wie und warum ich auf dem Boden gelandet war, wusste ich nicht mehr so genau.
    Ich war nämlich betrunken; schließlich hatten wir kurz nach meiner Ankunft erst einmal einen halben Liter Wodka gekippt. Wenigstens daran konnte ich mich noch halbwegs erinnern   – wie Aaron die Flasche aus der Tasche gezogen hatte, gefolgt von ein paar Orangensaftpackungen, die jemand in der Frühstückspause aus der Cafeteria hatte mitgehen lassen. Wir gossen sowohl Wodka als auch Orangensaft in leere Pappbecher, schüttelten sie in Barkeeper-Manier und prosteten einander zu. Dabei saßen wir nebeneinander auf dem Vordersitz seines Autos. Das Radio dudelte in voller Lautstärke vor sich hin. Wir wiederholten die Prozedur, bis der Orangensaft alle war. Anschließend verlegten wir uns darauf, den Wodka pur zu kippen. Jedes Mal, wenn er mir die Kehle hinunterrann, brannte er ein bisschen weniger.
    »Verdammt«, hatte Aaron irgendwann gemeint, sich mit dem Handrücken über den Mund gewischt und mir die Flasche gegeben. Der Wind wehte, die Bäume schwankten, alles fühlte sich gleichzeitig sehr nah und sehr weit entfernt an. Genau richtig. »Seit wann bist du so eine Säuferin, Cooper?«
    »Schon immer gewesen«, hatte ich geantwortet. Die Erinnerung an jenen Moment kehrte langsam zurück. »Liegt bei mir in der Familie.«
    Jetzt nahm Aaron gerade noch einen tiefen Zug. Hielt ihn in der Lunge, wobei er ein leicht rasselndes Geräusch von sich gab. Er atmete wieder aus, der Rauch strich um mich herum, an mir vorbei. Mein Kopf fühlte sich schwer an, flüssig. Ich schloss die Augen, versuchte, mich in dem Rauchzu verlieren. An dem Morgen hatte ich alles ausblenden, alles verdrängen wollen, was ich von Cora über meine Mutter gehört hatte. Während ich so neben Aaron hockte und laut die Lieder aus dem Radio mitsang, war mir das auch eine Zeit lang gelungen. Doch nun kehrte es in mein Bewusstsein zurück. Und ich konnte spüren, wie es unmittelbar außerhalb meines Gesichtsfeldes lauerte.
    »He.« Ich zwang mich, die Augen zu öffnen, den Kopf zu wenden. »Lass mich mal ziehen.«
    Er hielt mir den Joint hin. Ich streckte die Hand aus, stellte mich allerdings so ungeschickt an, dass der Joint zwischen uns ins Gras fiel und nicht mehr zu sehen war. »Shit.« Ich tastete mit den Fingern im Gras herum, bis ich zusammenzuckte, denn plötzlich berührte die Glut prickelnd meine Haut. Vorsichtig hob ich den Joint hoch, führte ihn noch vorsichtiger zum Mund, musste mich wirklich auf jede Bewegung konzentrieren, sorgfältig darauf achten, ihn fest mit meinen Lippen zu umschließen. Nahm schließlich einen tiefen Zug.
    Langsam sickerte der dichte, schwere Rauch in meine Lungen. Als ich das wahrnahm, lehnte ich mich wieder an. Mein Kopf stieß gegen den Kotflügel. War das guuuuut! Einfach schweben, weit weg sein. Sämtliche Probleme zogen sich zurück, wie Wellen vom Strand, die den Sand zwar zunächst überfluten, dann jedoch alles mit sich in die Tiefe und Weite des Meeres schwemmen, alle Spuren verwischen. Ich sah mich plötzlich selbst vor mir: Wie ich vor noch gar nicht so langer Zeit durch eben diesen Wald gelaufen war und mich dabei genauso gefühlt hatte wie jetzt: locker, leicht, ungezwungen. Die Zukunft stand weit offen. Damals war ich auch nicht allein gewesen. Sondern mit Marshall zusammen.
    Marshall. Ich öffnete die Augen, starrte auf meine Armbanduhr,blinzelte so lange, bis ich das Zifferblatt erkennen konnte. Ja, das brauchte ich jetzt   – Nähe, einfach bloß ein bisschen Nähe, und sei es nur für kurze Zeit.
Sandpiper Arms
war gar nicht weit entfernt, man konnte durch den Wald zu Fuß hingehen, es gab einen direkten Weg. Wie oft hatten wir den gemeinsam zurückgelegt . . .
    »Wo willst du hin?«, fragte Aaron mit schwerer Zunge. Denn ich rappelte mich hoch, taumelte ein wenig, bevor ich halbwegs sicher auf den Füßen stand. »Ich dachte, wir hängen noch ein bisschen zusammen ab.«
    »Bin gleich wieder da.« Ich marschierte los, suchte und fand den Weg durch den Wald.
    Als ich vor Marshalls Haustür ankam, war ich nicht mehr ganz so durcheinander, konnte wieder etwas klarer denken. Allerdings schwitzte ich ziemlich, das kam durchs Laufen. Und spürte, dass ich Kopfweh bekommen würde. Ich nahm mir einen Augenblick Zeit, um mir mit allen zehn Fingern die Haare zu kämmen und auch sonst wie den kläglichen Versuch zu unternehmen, mich

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