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Abraham Lincoln - Vampirjäger

Abraham Lincoln - Vampirjäger

Titel: Abraham Lincoln - Vampirjäger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Seth Grahame-Smith
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Mörder!) nur ein paar Schritte von mir entfernt befand? Wie viel von meinem Blute hatte er wohl schon gekostet, während ich schlief? Ich vernahm seine Schritte auf einer Holztreppe. Vernahm das Knarren und Zuschlagen einer Tür. Aber von der Welt draußen hörte ich nichts. Kein Vogelgezwitscher. Keine Kirchenglocken. Ich wusste nie, ob es gerade Tag oder Nacht war. Die einzigen zeitlichen Anhaltspunkte beschränkten sich auf das Entzünden des Streichholzes, das Brennen des Herdes, das Pfeifen des Kessels. Alle paar Stunden betrat er den Raum mit einer dampfenden Suppe, setzte sich zu mir ans Bett und bot mir an, mich zu füttern. Ich lehnte prompt ab, und meine Weigerung wurde jedes Mal genauso prompt akzeptiert. Daraufhin griff Henry nach einem Band mit William Shakespeares ausgewählten Werken und fuhr an der Stelle mit seiner Lektüre fort, an der er sie vorher unterbrochen hatte. Das war unser kleines Spielchen. Zwei Tage lang weigerte ich mich, zu essen oder zuzuhören. Zwei Tage lang kochte er für mich und redete unbeirrt auf mich ein. Wenn er las, versuchte ich meinen Geist mit belanglosen Gedanken zu beschäftigen. Mit Liedern oder Geschichten, die ich mir selbst ausdachte. Alles war mir recht, nur um dem Vampir nicht die Genugtuung meiner Aufmerksamkeit zu geben. Doch am dritten Tage, getrieben vom Hunger, konnte ich nicht umhin, einen Löffel von Henrys Suppe zu mir zu nehmen. Ich schwor mir, dass es nur einer sein würde. Nur so viel, dass der Schmerz in meinen Eingeweiden etwas gelindert wurde, sonst nichts.
    Abe verschlang drei Schalen der heißen Brühe, ohne auch nur einmal innezuhalten. Als er sich schließlich satt gegessen hatte, saßen er und Henry eine Weile, die Abe vorkam wie »eine geschlagene Stunde«, einfach nur schweigend da, bis Abe schließlich sagte:
    »Warum haben Sie mich nicht getötet?«
    Es machte mich krank, ihn auch nur anzusehen. Seine Freundlichkeit war mir gleichgültig. Es war mir auch gleichgültig, dass er mir das Leben gerettet, meine Wunden versorgt und mir zu essen gegeben hatte. Es war mir ganz einerlei, wer er war. Mich interessierte bloß, was er war.
    »Und welchen Grund hätte ich, bitte schön, Sie zu töten?«
    »Sie sind ein Vampir.«
    »Und damit ist schon alles Weitere festgelegt? Habe ich nicht auch einen menschlichen Verstand? Habe ich nicht auch dieselben Bedürfnisse? Gekleidet, ernährt und getröstet zu werden? Scher uns nicht alle über einen Kamm, Abraham.«
    Nun war ich es, der nicht umhinkam, zu lachen.
    »Sie sprechen wie einer, der nicht mordet, um sich zu ›ernähren‹! Dessen Bedürfnisse Kindern nicht die Mutter entreißen!«
    »Ah«, erwiderte Henry. »Es war meinesgleichen, der sie Ihnen nahm?«
    Der letzte Rest von Besonnenheit verließ mich. Es lag an der Unbefangenheit, mit der er davon sprach, seiner Gefühlskälte. Der Wahnsinnige in mir regte sich aufs Neue. Ich ging auf ihn los, stieß dabei die Suppenschüssel um. Sie zersprang am Boden in tausend Stücke. Wenn meine Handgelenke nicht gefesselt gewesen wären, hätte ich ihm das Gesicht heruntergerissen.
    »Sprechen Sie nicht von ihr! Niemals !«
    Henry wartete, bis mein Ausbruch vorüber war, dann kniete er sich auf den Boden und sammelte die Scherben der zerbrochenen Schüssel auf.
    »Sie müssen verzeihen«, sagte Henry. »Es ist lange her, dass ich in Ihrem Alter war. Ich habe die Leidenschaft der Jugend vergessen. Ich werde mich bemühen, meine Worte sorgfältiger zu wählen.«
    Mit den Scherben in der Hand stand er auf und schickte sich an, zu gehen, doch in der Tür blieb er noch einmal stehen.
    »Fragen Sie sich doch bitte einmal selbst … sind wir wirklich so verschieden, Sie und ich? Sind wir nicht beide nur widerstrebende Handlanger der Umstände? Haben wir nicht beide etwas verloren, das uns sehr viel bedeutete? Sie Ihre Mutter – ich mein Leben … «
    Mit diesen Worten verschwand er und überließ mich meiner Wut. Ich rief ihm hinterher: »Warum haben Sie mich nicht getötet?« Seine Antwort drang ruhig aus dem Nebenzimmer zu mir herüber. »Manche Menschen, Abraham, sind einfach zu interessant, um sie zu töten.«
    IV
    Abe erholte sich von Tag zu Tag mehr. Er nahm nun bereitwillig Nahrung zu sich und hörte Henry mit Interesse zu, wenn er ihm aus Shakespeares Werken vorlas.
    Obwohl sein Anblick immer noch Wut und Beklommenheit in mir entfachen konnte, wurde dieser Reflex umso schwächer, je mehr mein Körper wieder zu Kräften kam. Er lockerte meine Fesseln, so

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