Abrechnung: Ein Fall für Kostas Charitos (German Edition)
von Stavropoulos den Todeszeitpunkt zu erfahren, tritt mir Papadakis in den Weg.
»Ich habe einen Augenzeugen gefunden.«
»Für den Mord?«
»Das nicht, aber er hat Lepeniotis zusammen mit einem anderen Typen in den Laden gehen sehen.«
»Na dann, nichts wie hin.«
Nachdem wir um die Ecke gebogen sind, führt er mich zwei Türen weiter in ein Kafenion. Ganz hinten sitzt ein Mann um die fünfzig vor einer Tasse Mokka. Papadakis übernimmt die Vorstellung, und ich nehme gegenüber von Argyris Nikopoulos Platz.
»Erzählen Sie mir, was Sie genau beobachtet haben«, fordere ich ihn auf.
»Ich bin seit einem Jahr arbeitslos. Bis die Firma dichtgemacht hat, war ich als Parkettleger beschäftigt. Zum Glück wohne ich im Haus meiner Eltern und bezahle keine Miete.«
»Wo liegt Ihr Elternhaus?«
»In der Magnissias-Straße, genau gegenüber von Lepeniotis’ Geschäft. Da ich in der letzten Zeit morgens früh aufwache, sitze ich jeden Tag ab sechs am Fenster und beobachte die Passanten. Das ist mein vormittäglicher Zeitvertreib. Ich schaue mir ihren Gang und ihre Haltung an und versuche zu erraten, wer von ihnen Arbeit hat und wer nicht. Heute Morgen ist mir aufgefallen, dass Lepeniotis mit einem Begleiter hergekommen ist.«
»Wissen Sie die Uhrzeit noch?«
»Ich habe nicht auf die Uhr geschaut, aber so gegen sechs beziehe ich meine Stellung am Fenster. Da ich meinen ersten Kaffee schon getrunken hatte, muss es acht oder halb neun gewesen sein.«
»Und was haben Lepeniotis und sein Begleiter getan?«
»Sie haben sich vor dem Laden unterhalten.«
»Sind Sie sicher, dass sie sich nur unterhalten und nicht gestritten haben?«
»Ja, sie haben ganz freundschaftlich geplaudert.«
»Aha. Und was passierte dann?«
»Lepeniotis hat aufgesperrt und ist in den Laden vorangegangen. Dann fiel die Tür hinter den beiden zu.«
»Können Sie mir vielleicht Lepeniotis’ Begleiter beschreiben?«, frage ich Nikopoulos und hoffe dabei inständig, dass unser Zeuge tatsächlich ein guter Beobachter ist.
»Er war etwa im gleichen Alter wie Lepeniotis, nur kleiner, mit grauem Bart und angegrauten Schläfen.«
»Was hatte er an?«
»Eine Sportjacke. Auf den Rest habe ich nicht geachtet.«
»Wissen Sie noch, wann er wieder gegangen ist?«
»Nein, da habe ich mir gerade meinen zweiten Mokka gemacht.«
Das wäre ja auch zu schön gewesen, wenn er ihn auch beim Verlassen des Geschäfts beobachtet hätte. Die Theorie mit den rechtsextremen Tätern ist schön und gut, aber der Mann, den Nikopoulos mit Lepeniotis gesehen hat, ist kein junger, kahlgeschorener Kraftmeier, sondern ein ganz normaler grauhaariger Typ mit Bart um die sechzig, der eine Sportjacke trug. Also alles andere als der Prototyp eines Rechtsextremen.
Immer wenn wir uns gerade eine These zurechtgezimmert haben, fällt sie uns wieder auseinander. Die Handy-Botschaft und die Auswahl der Opfer passen zur ultrarechten Szene, doch Lepeniotis’ Mörder fällt aus dem Rahmen. Außer, sie setzen bei jedem Mord einen anderen Killer ein. Zwar kriegt man in Griechenland auf jedem Wochenmarkt Kalaschnikows, aber Killer sind da keine anzuheuern. Bis jetzt jedenfalls noch nicht.
Ich bitte Papadakis, Argyris Nikopoulos zur offiziellen Vernehmung ins Präsidium zu fahren, und beordere Dermitsakis und Koula her, damit sie das Viertel nach Augenzeugen abklappern, die Lepeniotis’ Begleiter beim Verlassen des Geschäfts eventuell gesehen haben.
Dann kehre ich in den Laden zurück. Stavropoulos ist mit seiner Arbeit fertig und wartet bereits auf mich.
»Der Mord muss zwischen sieben und zehn Uhr morgens passiert sein«, verkündet er mir. »Genaueres kann ich nach der Obduktion sagen.«
»Er muss zwischen acht und neun geschehen sein. Es gibt einen Augenzeugen, der beobachtet hat, wie das Opfer mit seinem mutmaßlichen Mörder den Laden betreten hat.«
»Na gut, alles Übrige lesen Sie dann im Autopsiebericht«, meint er kühl. Offenbar will er mich seinen Unmut spüren lassen.
Doch davon lasse ich mich nicht beeindrucken und melde mich erneut bei Gonatas, um ihm von dem Augenzeugen zu berichten.
»Tut mir leid, dass unsere schöne Theorie damit zunichte ist.«
»Wieso?«, wundert er sich.
»Weil der Täter vom Typ her nicht zur rechtsextremen Szene passt.«
»Jetzt kommen Sie aber. Wenn die Rechten so eine alte Parole aufgreifen, können sie genauso gut auch einen Mörder mit dem heutigen Look der Generation Polytechnikum einsetzen.«
Diese Erklärung ruft bei mir eine
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