Abrechnung: Ein Fall für Kostas Charitos (German Edition)
aber machen Sie das mit Absicht, Herr Kommissar?«, meint Papadakis auf dem Weg zum Streifenwagen.
»Was soll ich mit Absicht machen?«
»Jedes Mal, wenn Sie mich mitnehmen, um mir Vernehmungstechnik beizubringen, stellen sich Männer, die ich für seriös und kultiviert gehalten habe, als korrupt und verdorben heraus.«
Ich komme nicht dazu, ihm zu antworten, weil uns, sobald wir im Streifenwagen sitzen, eine Funkmeldung erreicht.
»Nachricht an Kommissar Charitos: Herr Kommissar, gerade haben wir einen anonymen Anruf erhalten. Eine Männerstimme war dran und sagte: ›Benachrichtigen Sie Kommissar Charitos, dass Dimos Lepeniotis im Laden Ecke Acharnon- und Magnissias-Straße auf ihn wartet.‹«
Das heißt, es gibt ein neues Opfer. Das Schlimmste daran ist, dass mich der Mörder namentlich informiert. Das heißt, dass er mich persönlich einbezieht, um mein Vorgehen zu beeinflussen.
»Gib Koula Bescheid«, sage ich zu Papadakis, »sie soll Informationen zu diesem Lepeniotis zusammentragen und unverzüglich die Spurensicherung und die Gerichtsmedizin verständigen.«
»Und was machen wir?«
»Wir fahren zur angegebenen Adresse. Dermitsakis bestellt einen Streifenwagen vom örtlichen Revier dorthin, Treffpunkt vor Ort.«
Brot, Bildung, Freiheit. Das erste Opfer war ein Bauunternehmer, der illegal Immigranten beschäftigte. Das erklärt das Schlagwort »Brot«. Das zweite war ein Universitätsprofessor. Das erklärt die Parole »Bildung«. Doch wozu passt »Freiheit«? Zu einem Politiker? Zu einem alten Juntaanhänger? Oder gar zu einem hochrangigen Polizeibeamten oder zu einem Militär?
Diese Frage geht mir während der ganzen Fahrt zur Acharnon-Straße nicht aus dem Kopf.
28
An der besagten Straßenecke liegt ein aufgelöstes Geschäft, eines von unzähligen, die wir auf unserer Fahrt durch die Acharnon-Straße gesehen haben. An den blinden Schaufensterscheiben kleben nur ein paar billige Plakate. Das eine wirbt für einen albanischen Schlagersänger, das zweite für polnische Lebensmittel und das dritte für einen Asialaden. Das ungepflegte einstöckige Wohnhaus, in dem das Ladengeschäft untergebracht ist, vervollständigt den Eindruck einer sterbenden Geschäftsstraße.
Vor dem Laden unterhalten sich Leute verschiedenster Herkunft mit gesenkter Stimme. Neben der angelehnten Eingangstür steht die Besatzung eines Streifenwagens. Ich weiß nicht, ob man die Tür so vorgefunden hat oder ob hier Dimitrious Spurensicherung am Werk war, die offenbar vor uns eingetroffen ist.
Das Opfer ist genau in der Mitte des Ladens vornübergestürzt. Ich bezweifle, dass den Mann jemand wiedererkennen würde, denn der Mörder hat ihn aus unmittelbarer Nähe erschossen. Sein Hirn ist auf den Boden und an die gegenüberliegende Wand gespritzt. Bis auf den förmlich weggepusteten Kopf ist der Körper allerdings unversehrt. Selbst mir geht der Anblick an die Nieren, obwohl ich mich mit den Jahren an solche Anblicke gewöhnt habe. Vom Körperbau her muss er um die sechzig gewesen sein.
Nachdem Papadakis einen Blick auf die Leiche geworfen hat, eilt er zur Eingangstür. Dort ringt er erst mal nach Luft.
»Zum Glück hat uns der Mörder den Namen des Opfers genannt. In dem Zustand hätte ihn sonst keiner erkannt«, meint er, als er zurückkehrt.
Dimitriou kommt auf mich zu.
»Stand die Tür offen, oder haben Ihre Leute sie aufgebrochen?«, frage ich ihn.
»Sie war zu, aber problemlos aufzukriegen. Es gab nur ein einfaches Türschloss.«
Ich werfe einen ersten, kurzen Blick auf den Laden. Er ist ziemlich groß und schmutzig. Wie viele Geschäfte aus der unmittelbaren Nachkriegszeit hat er einen Holzboden, auf dem Papierfetzen und zerborstene Balken herumliegen. Die Dielen sind an vielen Stellen eingebrochen, so dass man aufpassen muss, sich nicht den Knöchel zu verstauchen. Der Raum ist bis auf ein paar Wandregale vollkommen unmöbliert. Er muss jahrelang leer gestanden haben, denn Wände und Decke sind mit Spinnweben überzogen.
Als Stavropoulos eintrifft, steuert er direkt auf mich zu.
»Also, haben Sie jetzt die Losung ausgegeben, dass alle nur noch aus unmittelbarer Nähe erschossen werden?«, fragt er mich.
»Hören Sie, Stavropoulos, wir stecken ganz schön im Schlamassel. Behalten Sie Ihre miesen Scherze doch für sich«, entgegne ich barsch. Wenn er mir einmal seine Nörgeleien erspart, kommt er mit dummen Sprüchen.
Mein Tonfall überrascht ihn, da ich ihm gegenüber sonst nicht so schnell unfreundlich
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