Abrechnung: Ein Fall für Kostas Charitos (German Edition)
protestieren«, meint Velissaridis ungehalten, während die anderen beiden den Jüngsten mit strafenden Blicken bedenken. Angesichts des Gegenwinds hält er jetzt den Mund.
»Der Mord an Dimos Lepeniotis ist die dritte Tat in Folge, die alle nach demselben Muster ablaufen«, erläutere ich ihnen. »Deshalb hat auch meine erste Frage gar nichts mit seiner aktuellen Tätigkeit zu tun, sondern mit der Vergangenheit. Gehörte Dimos Lepeniotis zur Generation Polytechnikum?«
»Na klar«, erwidert der Bärtige, der mir gegenübersitzt. »Ich weiß nicht, ob er an der Besetzung der Hochschule teilgenommen hat, aber er war führendes Mitglied der Panhellenischen Antidiktatorischen Front.«
Langsam sehe ich, was für eine strenge Hierarchie in der Generation Polytechnikum herrscht – fast wie in der orthodoxen Kirche. Genauso, wie man dort als Diakon beginnen und es bis zum Bischof bringen kann, fing man in der Generation Polytechnikum als einfacher Widerstandskämpfer an, um schließlich Unternehmer, Universitätslehrer oder Gewerkschaftsfunktionär zu werden. Nur, dass man in der Generation Polytechnikum die einzelnen Stufen viel schneller durchlaufen konnte als in der Kirchenhierarchie.
Da auch Dimos Lepeniotis dieser Generation angehörte, muss ich wieder dieselben Fragen stellen wie in den anderen Fällen, obwohl ich mir die Antworten schon ausrechnen kann.
»Weiß vielleicht jemand von Ihnen, ob es Feindschaften oder Auseinandersetzungen gab, die auf Lepeniotis’ Zeit als Student oder sein Engagement im Widerstand zurückgehen, aber bis heute virulent waren?«
»Fragen Sie das jetzt im Ernst, Herr Kommissar?«, protestiert der Bärtige. »Bei uns auf dem Dorf gibt’s den Spruch: ›Der Kadaver stinkt gleich, nicht erst ein Jahr später.‹ Wer kommt denn nach mehr als vierzig Jahren auf so etwas? Nur, weil wir zur Drachme zurückgekehrt sind, heißt das noch lange nicht, dass wir auch uralte Fehden wieder ausgraben.«
Genau so wurde mir auch in den Fällen Demertsis und Theologis geantwortet, viel weiter bringt mich das also nicht.
»Na, dann ziehen wir die Sache anders auf. Gab es vielleicht kürzlich Konflikte und Reibereien im beruflichen oder gewerkschaftlichen Umfeld, die ihm Sorge bereiteten?«
Velissaridis lacht auf. »Bei uns stehen Streitigkeiten auf der Tagesordnung, Herr Kommissar. Wir stammen alle aus verschiedenen Berufsgruppen mit unterschiedlichen Interessen und aus verschiedenen Parteien mit unterschiedlichen politischen Haltungen. Bei uns kommt es häufig zu großen Meinungsverschiedenheiten. Doch die überwinden wir auf zwei Arten: entweder mit einem Kompromiss, dem wir alle zustimmen, oder mit einer Abstimmung, bei der die Meinung der Mehrheit den Ausschlag gibt. Solange diese beiden Lösungsmöglichkeiten bestehen, brauchen wir uns nicht gegenseitig umzubringen«, fügt er spöttisch hinzu.
»Vielleicht liegt ja das Motiv auch in seinem Privatleben«, sagt der Jüngste.
»Wirkte er denn in den letzten Tagen bedrückt oder beunruhigt?«
»Ganz im Gegenteil«, erwidert der Bärtige. »Er war sogar besonders gut gelaunt, weil sich ein Grieche gefunden hatte, der den Laden seines Vaters übernehmen wollte, der seit anderthalb Jahren leer stand. Anfangs versuchte er noch, ihn zu verkaufen, aber wo findet sich mitten in der Krise ein Kaufinteressent? Dann beschloss er, ihn zu vermieten, aber nicht an Migranten, weil er Angst hatte, dass sie sich irgendwann absetzen und nur unbezahlte Rechnungen zurücklassen würden. Schließlich hat sich ein griechischer Mieter gefunden, und Dimos war sehr froh darüber.«
Das heißt, der Mörder hat sich ihm als Interessent für den Laden seines Vaters vorgestellt, ein simpler und naheliegender Vorwand. Als Lepeniotis ihm das Geschäft zeigte, hat er ihn umgebracht. Bis hierhin ist alles gut und schön. Die schwierige Frage ist, wie der Täter darauf kam. Woher wusste er, dass Lepeniotis auf der Suche nach einem Gewerbemieter war? Entweder wusste er davon, weil er ihn persönlich kannte, oder er hatte Nachforschungen angestellt und war so auf den unvermieteten Laden gestoßen.
»Hat er Ihnen eventuell den Namen des potentiellen Mieters genannt oder irgendetwas über ihn erzählt?«
»Nein, er hat mir nur gesagt, dass er einen Besichtigungstermin mit ihm vereinbart hat«, antwortet der Bärtige.
Lepeniotis dürfte der Name, mit dem sich der mutmaßliche Mörder bei ihm angemeldet hat, nichts gesagt haben. Sonst hätte er ihn seinen Freunden gegenüber
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