Abrechnung: Ein Fall für Kostas Charitos (German Edition)
Hunger und Elend.«
»Was ist das, Opa?«, ruft ein junger Mann und wirft eine Handvoll Silvesterkonfetti in die Luft.
»Spielgeld!«, entgegnet ihm ein Alter. »Ab heute gibt’s nur noch das!«
»Kassierst du Blindenrente, Opa?«, ruft eine junge Frau.
»Und dein Freund neben dir eine Rente für chronisch Kranke?«, fragt ein anderer spöttisch.
Die ausländischen Teilnehmer haben ihre Parolen unterbrochen und verfolgen tuschelnd die Auseinandersetzung.
»Demonstration nicht auflösen, im Notfall abdrängen«, ordnet Esperoglou am Funkgerät an. »Ich will nicht, dass die Sender später behaupten, wir hätten Rentner und arbeitslose Jugendliche verprügelt.«
»Wer von euch eine Blinden- oder Taubstummenrente bekommt, hebe die Hand«, ruft eine junge Frau.
»Ich rede mit den Alten, vielleicht kann ich sie überzeugen, nach Hause zu gehen«, sagt Esperoglou und tritt auf die Demonstranten vom Amalias-Boulevard zu.
»Wie sollen eure Väter euch jetzt noch ein Auto zur bestandenen Zulassungsprüfung an die Uni schenken, wie es mein Junge mit seinem Sohnemann noch gemacht hat?«, ruft eine Weißhaarige.
»Wir haben unser Leben lang gearbeitet und kriegen für all die Mühe eine mickrige Rente!«, ruft ein anderer den jungen Leuten zu.
»Nicht wenige von euch sind aber schon mit vierzig in Rente gegangen!«, erwidert ein junger Bärtiger.
Spaß mit Spielgeld ist das eine, Ernst mit echten Drachmen das andere. Bald liegen sich die Opas und Omas mit der Enkelgeneration in den Haaren. Ich frage mich, ob die beiden alten Männer, die mich am Kolokotronis-Denkmal angesprochen haben, auch unter den Demonstranten sind oder ob sie einfach nur spazieren waren.
Von weitem sehe ich, wie Esperoglou mit den Rentnern verhandelt, die sich erst mal untereinander absprechen müssen. Wie es scheint, hat er sie überzeugt, denn sie ziehen ab.
Die jungen Leute kehren zu ihren Parolen zurück, doch die Luft ist raus. Sie machen nur noch weiter, um nicht vorzeitig das Handtuch zu werfen.
Esperoglou ist erleichtert. »Zum Glück sind wir ohne Scherereien davongekommen.«
Gegen sechs Uhr abends beginnen die Demonstranten damit, ihre Transparente einzurollen, ganz wie Badegäste, die am Strand ihre Handtücher zusammenrollen und ihre Sonnenschirme zusammenklappen, bevor sie sich auf den Heimweg machen.
4
Gegen sieben wird der Syntagma-Platz wieder für den Verkehr freigegeben. Da ich nicht glaube, dass mich am ersten Arbeitstag des Jahres etwas Dringendes an der Dienststelle erwartet, fahre ich nach Hause. Vorrang hat zunächst, zusammen mit Adriani eine Strategie auszuarbeiten, wie wir angesichts des Gehaltsstopps über die Runden kommen.
Kaum habe ich den Mund aufgemacht, fällt sie mir ins Wort: »Keine Sorge, ich bin im Bilde! Seit heute Morgen ist im Radio und Fernsehen von nichts anderem die Rede.«
»Wir müssen sehen, wie wir mit dieser Herausforderung fertig werden.«
»Nur keine Panik«, beruhigt sie mich. »Es ist doch nicht das erste Mal.«
»Es betrifft ja nicht nur uns, sondern auch die Kinder. Sie haben nur Fanis’ Gehalt, Katerina und Mania sind noch weit von der Gewinnzone entfernt.«
»Da gibt’s nur eins, Kostas: In der Stunde der Not streicht man alle überflüssigen Ausgaben und stellt einen Kochtopf für die ganze Familie auf den Herd. Ab jetzt wird bei uns gemeinsam gekocht und zu Abend gegessen.«
Je schwieriger die Lage, desto energischer tritt Adriani auf den Plan. Sie springt auf und geht zum Telefon.
»Katerina, kannst du mit Fanis zu uns kommen? Wir möchten etwas mit euch besprechen.«
Offenbar fragt Katerina nach, ob es gleich heute Abend sein muss, da Adriani antwortet: »Ja, es ist dringend.«
»Hier ist eine klare Ansage angebracht«, erläutert sie mir, als sie den Hörer auflegt.
Vermutlich hatte sie sich doch nicht so klar ausgedrückt, da eine Viertelstunde später Katerina und Fanis aufgeregt zur Tür hereinstürzen.
»Was ist denn los?«, fragt Fanis besorgt, während Katerina mich ins Visier nimmt.
»Geht’s dir gut, Papa?«
»Ja, warum sollte es ihm nicht gutgehen?«, wundert sich Adriani.
»Wenn du sagst, wir müssen etwas besprechen, das so dringend ist, dass man es nicht aufschieben kann, denken wir sofort an etwas Schlimmes«, sagt Katerina aufgeregt.
»Es ist ja auch was Schlimmes. Etwas Dringendes ist in Griechenland immer schlimm«, hält ihr Adriani mit Unschuldsmiene entgegen. »Wir müssen besprechen, wie wir mit dem Gehaltsstopp umgehen, der sowohl deinen
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