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Abschaffel

Titel: Abschaffel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Genazino
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zufrieden, wenn seine Vorstellung diesen einen, den wichtigsten Punkt einmal gedacht hatte. Eines Tages würde er in ein Bordell gehen, mit einem Mädchen schlafen und sie anschließend zum Essen einladen. Er glaubte, das Mädchen würde die Einladung sofort annehmen, und von diesem Augenblick an sei sie seine treue Versorgerin. An diesem Punkt brach seine Vorstellung ab. Er machte sich keine Gedanken darüber, was er mit der Nutte jeden Tag reden sollte. Schwierigere Fragen, ob er mit ihr zum Beispiel in einer Wohnung oder in zwei getrennten Wohnungen leben sollte, tauchten erst recht nicht auf. Der Grund für die mangelhafte Entfaltung seiner Phantasie lag sicher darin, daß sie ihm nur selten in den Kopf kam. Er nahm diese Ausschweifungen auch nicht ernst, weil er wohl ahnte, daß ein solches Leben seine Möglichkeiten deutlich überschritt. Viel heftiger und öfter setzte er sich mit dem Problem auseinander, wie er eines Tages den Eltern und Arbeitskollegen sein neues Leben als Zuhälter erklären konnte. Tatsächlich entwarf er im stillen weitschweifige Argumentationen, mit deren Hilfe er ein solches Leben rechtfertigen konnte. Und erst später, wenn er wieder bemerkte, wie sehr er im Kopf etwas verteidigte, was nicht für ihn galt und wahrscheinlich nie gelten würde, wich er erschöpft von seiner Zuhälterphantasie zurück, weil sie ihn wieder einmal genarrt hatte. Aber so ist es immer, räsonierte er still für sich, man kommt vorher schon um mit der Rechtfertigung dessen, was dann gar nicht passiert. Ein Seufzer war das letzte, was er der schon wieder entschwundenen Phantasie vom ganz anderen Leben nachschickte.
    Gegen neun Uhr wurde es wieder still im Büro. So war es fast jeden Morgen. Zwischen acht und neun gab es einen ersten allgemeinen Mitteilungsstoß. Dann verebbten die Gespräche, und ein jeder verrichtete die Arbeit in seinem Umkreis. Abschaffel stand an einem der beiden Fernschreiber und nahm die Ladedifferenz-Meldungen der Empfangsspediteure entgegen. Mit den Fernschreiben in der Hand lief er in die Halle und suchte die Vorarbeiter der gestern verladenen Waggons. Er zögerte die Kontrollen hinaus, weil es schön war, morgens in der Halle herumzulaufen.
    Kurz vor der Mittagspause, zwischen zwölf und halb ein Uhr, setzte ein zweiter, schwächerer Mitteilungsstoß ein. Die Angestellten schoben und drückten ihre Körper auf den Drehstühlen ein wenig zurück von den Schreibtischen. Die Männer wickelten die Hemdsärmel herunter, die Frauen legten ihre Essenmarken bereit. Während dieser Verrichtungen erzählten sie gern kleine Geschichten aus ihrem Leben. Fräulein Schindler sagte, die nächtlichen Anrufe ihrer Mutter würden in letzter Zeit das Maß des Erträglichen übersteigen. Fast jeden zweiten Abend um elf ruft sie an, um mir ganz lächerliches Zeug zu sagen, rief sie. Die Kirschen sind jetzt reif, ich könnte nach Hause kommen und sogar jemand mitbringen! rief Fräulein Schindler und lachte. Ich kenne ja meine Mutter! Sie will nur feststellen, ob ich einen Mann bei mir habe. Frau Schönböck fühlte sich ermuntert, auch eine Telefongeschichte mitzuteilen. Ich bin in der letzten Woche zweimal angerufen worden, sagte sie, und beide Male, als ich den Hörer abgenommen hatte, wurde am anderen Ende aufgelegt. Das ist doch ein sicheres Zeichen für einen bevorstehenden Einbruch, oder? Der Dieb erkundigt sich, ob jemand zu Hause ist, beziehungsweise er will herausfinden, wann jemand zu Hause ist und wann nicht, sagte Frau Schönböck. Dabei gibt’s bei mir absolut nichts zum Klauen, absolut nichts! Sagen Sie das nicht, sagte Hornung, es gibt sehr viele Leute, die riskieren sogar wegen eines Kofferradios einen Einbruch.
    Pünktlich zur Mittagspause erhoben sich die Kollegen. Abschaffel wollte nicht mit Hornung an einen Tisch kommen; er mußte darauf achten, nach ihm in die Kantine zu gehen. Da kündigte Hornung an, daß er in die Stadt fuhr, und Abschaffel war erleichtert. Als Menu II gab es heute Schnitzel mit Rotkohl und Kartoffeln. Abschaffel setzte sich zu drei Kollegen aus der Buchhaltung. Kaum hatte er seine Essenschale auf dem Tisch abgestellt, da entdeckte der junge Buchhalter Holzmann, daß er sich seine Hose an einem Kaugummi, das an der Unterseite der Tischkante klebte, verschmiert hatte. Mit seinem noch unbenutzten Messer und einer angefeuchteten Tischdecke versuchte er, den Fleck zu entfernen. Holzmann äußerte den Verdacht, es sei ein weiblicher Lehrling gewesen, der den Kaugummi

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