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Abschaffel

Titel: Abschaffel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Genazino
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unangenehm war es ihm, wenn er als einziger Kunde im Schalterraum stand; dann war er noch mehr davon überzeugt, den Verdruß der vier oder fünf Filialangestellten hervorzurufen. Es war deswegen sogar schon vorgekommen, daß er draußen vor der Bank gewartet hatte, bis mindestens zwei oder drei Personen vor ihm die Bank betreten hatten. Dann erst war er nachgefolgt und fühlte sich im Strom des Allgemeinen gut untergebracht. Und wie betroffen war er schon oft gewesen, wenn er dann feststellte, daß es viele Personen gab, die nur fünfzig Mark oder vielleicht sogar nur dreißig von einem Sparbuch abhoben und von den Angestellten mit geringschätziger Schnelligkeit abgefertigt wurden.
    Im Schalterraum brannte heute kein Licht. Alle Neonröhren waren dunkel, und von draußen drang nur das durch einen besonderen Vorhang stark getrübte Tageslicht herein. Eben kam eine ältere Angestellte aus den hinteren Räumen der Filiale mit zwei brennenden Kerzen nach vorne und stellte sie auf den Kundentresen. Rasch ging aus den Bemerkungen der Bankangestellten hervor, daß die Arbeiter draußen in den Baugruben offenbar elektrische Leitungen, die zur Versorgung der Filiale notwendig waren, beschädigt oder gar zerschlagen hatten. Abschaffel freute sich augenblicklich. Die hochmütige Stadtsparkasse hatte jahrelang mit vornehm gespanntem Stoff an ihren Schaufenstern auf Tageslicht verzichtet, und ein falscher Hieb eines Bauarbeiters genügte, und sie mußten zu den Kerzen greifen. Das geschah diesem übertriebenen Institut ganz recht. Abschaffel war voller Genugtuung. Endlich fand er die Bank einmal selbst mit Mängeln behaftet. Endlich fühlte er sich hier einmal nicht beobachtet. Die Bank, sonst immer mit der Entblößung der Verhältnisse der kleinen und mittleren Leute beschäftigt, war selbst entblößt. Die Kunden tauschten allgemeine, technikfeindliche Bemerkungen aus und schimpften über die Bauarbeiten. Ein älterer Mann sorgte sich sogar um das Ansehen der Bank. Er trug eine Jacke, die so ausgebeult und abgewetzt war, daß er in dieser Bank noch nicht einmal den Posten eines Boten bekommen könnte, aber er machte Vorschläge zur Wiederherstellung der Ehre der Bank. Wenn Ihnen Kosten entstehen, rief er den Bankangestellten zu, dann müssen sie von der Stadt bezahlt werden. An das Bauamt müssen Sie sich wenden, rief er, das Bauamt ist es. Kunden und Bankangestellte scharten sich grummelig um die beiden stillstehenden Flammen. Das Ausschreiben der Kassenbelege dauerte länger als sonst. Es war gräßlich und schön. Am liebsten wäre Abschaffel noch eine Weile hiergeblieben und hätte seine Eindrücke von der Demütigung der Bank weiter vertieft. Schon immer hatte er sich gewünscht, daß das protzige Getue der Bank mit ihren Teppichen, ihren Holztäfelungen und ihrem ekelhaften indirekten Licht einmal einen Dämpfer erhielt. Jetzt war es soweit. Aber er hatte sein Geld schon bekommen. Er ließ sich viel Zeit mit dem Einstecken der Scheine und verließ vergnügt das Halbdunkel der Schalterhalle.
    Seine Stimmung war locker und leicht, und er entschloß sich, noch einmal stadteinwärts zu gehen. Er wollte zwei Flaschen Wein einkaufen, dazu etwas Käse, Wurst und Weißbrot, Schokolade und Obst. Zufrieden stellte er sich den Ablauf des Abends vor: Gegen acht oder halb neun holte Margot ihn ab, dann wollten sie zusammen essen gehen. Gegen zehn oder halb elf würden sie zu ihm gehen, satt und faul zusammen schlafen, und er würde ein Gefühl haben, daß er sich am liebsten dauernd den Mund abwischte, so gut so gut. Er würde auf den Balkon gehen und die Balkontür hinter sich schließen, um im Freien kurz, leise und freudig zu rülpsen, dann wieder ins Zimmer zurückgehen, die erschöpfte und schon halb schlafende Margot betrachten und merkwürdig unbewegt denken: Wie schön, es macht mir nichts mehr aus, wenn sie auch dann noch bei mir ist, wenn ich schon lange nichts mehr mit ihr zu tun habe.
    Er war so in seine Vorstellung vertieft, daß er nicht bemerkt hatte, wie weit er wieder in die Stadt hineingelaufen war. Er war auf die Kaiserstraße geraten und lief in einem Schallplattengeschäft herum. Sollte er sich zur Feier des Abends eine neue Schallplatte kaufen? Lieber nicht, beschloß er, Schallplatten hatten ihn schon so oft enttäuscht. Links und rechts der Kaiserstraße reihte sich Bordell an Bordell. Seit Abschaffel Margot kannte, war er in keinem Bordell mehr gewesen. Manchmal hatte er schon geglaubt, er müßte wieder in

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