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Abschaffel

Titel: Abschaffel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Genazino
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eingepackt, so daß es keine Geräusche gab, wenn die Flasche erst in der Plastiktüte war. Er hatte schon fast alles, was für den Abend mit Margot nötig war, eingekauft. Nur Wurst und Wein fehlten noch. Den Wein wollte er ganz zuletzt, kurz bevor er den Supermarkt verließ, an sich nehmen. An der Metzgereitheke verlangte er ein halbes Pfund Fleischwurst. Die Verkäuferin fragte: Die aus dem Sonderangebot oder die gute? Er verstand die Verkäuferin sofort, aber er ärgerte sich, daß er sie sofort verstanden hatte. Die gute, sagte er. Offenbar mußte der Supermarkt jeden Kunden, wenn auch indirekt, kurz davor warnen, die schlechte Fleischwurst aus dem Sonderangebot wirklich zu kaufen. Aus Verärgerung darüber überlegte er, ob er nicht zwei Flaschen Wein stehlen sollte. Aber die technischen Voraussetzungen dafür waren nicht gut. Zwei Flaschen würden in der Plastiktüte aneinanderschlagen, und außerdem waren zwei volle Flaschen zu schwer für eine Tüte. An der Flaschenwand der Spirituosenabteilung ging alles ganz schnell. Es war kurz vor halb sieben. Die Kassiererin war schon mit der Feststellung des Kassenbestands beschäftigt. Müde und schnaufend fertigte sie Abschaffel ab.
    Zu Hause packte er rasch die Sachen auf den Tisch und zog seine alten Kleider aus. Er wollte sich ganz frisch machen für Margot. Und als er das Unterhemd über den Kopf zog und einige Augenblicke lang nichts sah, stieß er mit einem Arm eine der beiden Weinflaschen vom Küchentisch herunter. Sie krachte auf die Steinfließen, und der ganze Küchenboden war mit einer großen Rotweinlache überzogen. Der Wein drang sogar in die Filzsohlen von Abschaffels Hausschuhen ein. Er war so erschrocken, daß er eine halbe Minute ganz still in der Mitte der Rotweinlache stand. Wie eine wilde, bellende Meute zog das schlechte Gewissen in ihn ein und lähmte ihn. Was er gleich denken und empfinden würde, wußte er schon im voraus. Er hatte gelernt, die heruntergestoßene Flasche als Zeichen für eine Warnung zu nehmen. Du hast eine Flasche Wein gestohlen. Du hast schon viel mehr gestohlen, und du sollst gewarnt werden. Sieh dich vor. Wenn dir die Warnung nichts bedeutet, folgt beim nächstenmal unmittelbar die Strafe. Von der Warnung weißt nur du, sie geschieht in der Stille deiner Wohnung. Die Strafe aber wird öffentlich sein. Wenn du erst bestraft bist, wird jeder wissen, daß du ein Dieb bist, kein großer Dieb, aber ein Dieb. Das ist der Sinn der Warnung. Nun reinige deine Wohnung von den Spuren der Warnung. Der Schaden ist gering: Deine Hausschuhe mußt du wegwerfen, ebenso deine Strümpfe. Du mußt zugeben, das ist ein niedriger Preis für eine so wichtige Warnung.
    Er verabscheute diese Sätze. Es waren die automatischen Sätze des schlechten Gewissens. Die Sätze stammten von ihm selbst, und er ließ sich von ihnen demütigen. Solche Sätze waren immer zur Stelle gewesen, wenn er sich, wie kleinmütig auch immer, unrechtmäßig bereichert hatte. Alle diese Drohsätze rührten aus der Straflehre seiner Kindheit her, und sie bewegten sich gemeinsam auf ein fernes Ereignis hin, das man sich als große allgemeine Bestrafung denken mußte. Abschaffel stand in der Rotweinlache und kam sich vor wie damals, als er als Elfjähriger einen schönen weißen Radiergummi aus einem Schreibwarengeschäft gestohlen hatte. Wo hast du den her? hatte die Mutter gefragt und die Schleusen für ihre Sätze geöffnet, und das Kind Abschaffel schwieg und schluckte, weil es im Meer des schlechten Gewissens ganz rasch unterging.
    Zitternd stand er in der Küche. Mit beiden Händen hielt er sich die Hosenbeine ein wenig in die Höhe, damit sie nicht auch noch beschmutzt wurden. Mit zwei großen Schritten stieg er über den Rand der Lache hinaus. Er war so eingeschüchtert, daß er ins Bad ging und sein Gesicht eine Weile betrachtete. Es war das Gesicht von jemand, der daran gewohnt war, eine Strafpredigt für eine normale Anrede zu halten. Es war sein Kindergesicht, das ihm entgegenblickte. Der Schreck hatte fast alle älteren Züge darin abgeschwächt. Was er sah, war ein alter Entwurf seines Gesichts, das wieder frisch dafür war, mit Regeln neu gezeichnet zu werden. Niemals hätte er geglaubt, daß ihn ein blöder kleiner Diebstahl so beeindrucken konnte. Ein kalter Schweißring stand ihm über der Stirn. Guter Gott, sagte er halblaut in der Wohnung. Er ging aus dem Bad und bewegte sich so weich, als sei ihm bereits alles verboten.
    Er mußte sich beeilen. Margot

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