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Abschaffel

Titel: Abschaffel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Genazino
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sollte die Rotweingeschichte nicht bemerken. Aus der Spüle holte er einen Eimer und Putzlumpen, und er begann die Lache aufzuwischen. Er mußte vorsichtig wischen, weil auch die Splitter der Flasche verstreut auf dem Boden lagen. Mit gespreizten Fingern suchte er den Boden vorsichtig nach Glasscherben ab, ehe er mit dem Lumpen darüberwischte. Später wollte er alle Splitter, den Putzlumpen, die Hausschuhe und die Strümpfe in den Mülleimer werfen. Die kleine Wohnung roch nach Wein. Er öffnete das Küchen- und das Badfenster, und der durchziehende Wind nahm den Geruch mit. Er putzte den Küchenboden ein zweites Mal. Er schüttete besonders viel Reinigungsmittel in das heiße Putzwasser, weil er hoffte, das Reinigungsmittel werde den Weingeruch endgültig überdecken. Wenig später trug er in einer Plastiktüte Hausschuhe, Strümpfe und Glassplitter nach unten und warf alles in den Mülleimer. Er bemerkte, daß sein Körper noch immer von seinem schlechten Gewissen beherrscht wurde. Er glaubte, dünner und leichter geworden zu sein, und er fühlte sich angenehm. Eine Warnung, wenn sie langsam veraltet, schlägt um in die Freude darüber, daß noch einmal alles gutgegangen ist. Er hatte das Gefühl eines bestraften Kindes, das in seinem Bett im dunklen Zimmer liegt und mit der Überzeugung, daß morgen die Verhältnisse wieder normal sein werden, freudig die Rückkehr seiner Kräfte erlebt.
     
    Es gab in der Nähe zwei jugoslawische Restaurants, von denen eines schlecht und teuer, das andere billiger und besser war. Abschaffel schlug Margot den billigen Jugoslawen vor, aber sie fragte, ob sie nicht zum Griechen wollten. Gut, sagte er, gehen wir zum Griechen. Das griechische Lokal, das sie meinte, war auch nicht weit entfernt. Abschaffel ging nicht gern in dieses Lokal; das Essen dort war ihm zu fett und zu ölig, der Wein zu bitter, die Sitze zu eng und die Musik zu schrill. Fast die ganze Nacht spielte der Wirt von einem Tonband griechische Folkloremusik in das Lokal ein. Nur wenn er die Tonbänder wechselte, gab es ein paar Augenblicke Ruhe. Aber Abschaffel wollte heute abend keine besonderen Wünsche anmelden; er war froh, sich Margots Wunsch anschließen zu können.
    Das Lokal war halbleer. In einer Ecke saß eine Frau von etwa vierzig Jahren mit zwei Jungen, die wahrscheinlich ihre Söhne waren. Sie sahen kurz auf, als Abschaffel und Margot eintraten, und lasen dann gemeinsam in ihren Zeitschriften weiter, die sie ausgebreitet vor sich liegen hatten. Die Frau las eine Illustrierte, die beiden etwa zehn und zwölf Jahre alten Kinder Comic-Hefte. Die Kinder kamen mit dem Lesen schneller voran als die Mutter. An einem anderen Tisch saß ein Arbeiterliebespaar. Er war ein Mann um die Vierzig; an der Grobheit, mit der er Abschaffel und Margot betrachtete, war zu sehen, daß es ihm nichts ausmachte, wenn die anderen zeigten, daß sie nicht beobachtet werden wollten. Er trug eine grüne Weste, die Frau neben ihm trug auch eine grüne Weste. Ihre hilflose Freude an künstlichen Übereinstimmungen rührte Abschaffel, und er sah noch einmal zu den beiden hin. Die Frau drückte sich eng an ihn heran und entfernte ihm einige Fusseln von seiner grünen Weste. Als sie damit fertig war, schob sie ihm eine Hand zwischen seine eng zusammengedrückten Schenkel. Offenbar überkam den Mann dadurch ein durchdringendes Gefühl der Dankbarkeit. Er nahm seine Geliebte in den Arm, schob ihr ein Fleischstück, das er vom Teller hochnahm, mit der Hand in den Mund und schüttelte ihren Oberkörper freundschaftlich hin und her. Sie war dankbar dafür und lachte den Mann an. An einem dritten Tisch saßen drei junge Männer, nicht älter als zwanzig, und rauchten und sahen vor sich hin. An ihren eingeschmutzten Fingernägeln sah Abschaffel, daß es Arbeiter waren. Einer hatte ein dickes schmutziges Pflaster um die Daumenspitze. Mit tief hängenden Köpfen sahen die drei herüber zu ihnen. Eine junge dicke Bedienung mit weißer Bluse und schwarzem Rock erschien im Lokal und trug drei gefüllte Teller an den Tisch der Frau mit den beiden Söhnen. Alle drei sahen stumm auf ihre Teller. Die Frau legte ihre Illustrierte weg, die beiden Kinder schoben ihre Hefte unter ihre Teller. Die beiden Kinder sahen sich kurz an, wenn sie sich aus ihren Colaflaschen nachschenkten. Von den drei jungen Arbeitern war einer aufgestanden und in der Toilette verschwunden, und einer der beiden anderen schlug sich mit der Faust in die linke flache Hand und sagte:

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